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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Als er so deutlich wieder an alles dieses
dachte, als ihm einfiel, daß er es in so
langer Zeit gänzlich vergessen hatte, setzte
er sich ins grüne Gras nieder und weinte;
er drückte sein heißes Gesicht an den Boden
und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die
dort standen. Er hörte in der Trunkenheit
wieder die Melodie eines Waldhorns, und
konnte sich vor Wehmuth, vor Schmerzen
der Erinnerung und süßen ungewissen Hoff¬
nungen nicht fassen. Bin ich wahnsinnig,
oder was ist es mit diesem thörigten Her¬
zen? rief er aus. Welche unsichtbare Hand
fährt so zärtlich und grausam zugleich über
alle Saiten in meinem Innern hinweg, und
scheucht alle Träume und Wundergestal¬
ten, Seufzer und Thränen und verklungne
Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor?
O mein Geist, ich fühle es in mir, strebt
nach etwas Überirdischem, das keinem Men¬

Als er ſo deutlich wieder an alles dieſes
dachte, als ihm einfiel, daß er es in ſo
langer Zeit gänzlich vergeſſen hatte, ſetzte
er ſich ins grüne Gras nieder und weinte;
er drückte ſein heißes Geſicht an den Boden
und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die
dort ſtanden. Er hörte in der Trunkenheit
wieder die Melodie eines Waldhorns, und
konnte ſich vor Wehmuth, vor Schmerzen
der Erinnerung und ſüßen ungewiſſen Hoff¬
nungen nicht faſſen. Bin ich wahnſinnig,
oder was iſt es mit dieſem thörigten Her¬
zen? rief er aus. Welche unſichtbare Hand
fährt ſo zärtlich und grauſam zugleich über
alle Saiten in meinem Innern hinweg, und
ſcheucht alle Träume und Wundergeſtal¬
ten, Seufzer und Thränen und verklungne
Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor?
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[76/0087] Als er ſo deutlich wieder an alles dieſes dachte, als ihm einfiel, daß er es in ſo langer Zeit gänzlich vergeſſen hatte, ſetzte er ſich ins grüne Gras nieder und weinte; er drückte ſein heißes Geſicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die dort ſtanden. Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns, und konnte ſich vor Wehmuth, vor Schmerzen der Erinnerung und ſüßen ungewiſſen Hoff¬ nungen nicht faſſen. Bin ich wahnſinnig, oder was iſt es mit dieſem thörigten Her¬ zen? rief er aus. Welche unſichtbare Hand fährt ſo zärtlich und grauſam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg, und ſcheucht alle Träume und Wundergeſtal¬ ten, Seufzer und Thränen und verklungne Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor? O mein Geiſt, ich fühle es in mir, ſtrebt nach etwas Überirdiſchem, das keinem Men¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/87>, abgerufen am 27.04.2024.