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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Franz war in Verlegenheit, er wußte
nicht, was er sagen sollte; der Niederländer
fuhr fort: Vor allen andern Künsten in der
Welt ergötzt mich immer die Kunst der
Mahlerei am meisten, und ich begreife es
nicht, wie viele Menschen so kalt dagegen
seyn können. Denn was ist Poesie und
Musik, die so flüchtig vorüberrauschen, und
uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die
Töne, und denn sind sie vergessen -- sie wa¬
ren, und sie waren auch nicht; es sind
Klänge und Worte, und ich weiß niemals
recht, was sie mir sollen. Sie sind wirklich
nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬
ders handhabt. Dagegen verstehn es die
edeln Mahlerkünstler, mir Sachen und Per¬
sonen unmittelbar vor die Augen zu stellen,
mit ihren freundlichen Farben, mit aller
Wirklichkeit und Lebendigkeit, so daß das
Auge, der klügste und edelste Sinn des Men¬

Franz war in Verlegenheit, er wußte
nicht, was er ſagen ſollte; der Niederländer
fuhr fort: Vor allen andern Künſten in der
Welt ergötzt mich immer die Kunſt der
Mahlerei am meiſten, und ich begreife es
nicht, wie viele Menſchen ſo kalt dagegen
ſeyn können. Denn was iſt Poeſie und
Muſik, die ſo flüchtig vorüberrauſchen, und
uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die
Töne, und denn ſind ſie vergeſſen — ſie wa¬
ren, und ſie waren auch nicht; es ſind
Klänge und Worte, und ich weiß niemals
recht, was ſie mir ſollen. Sie ſind wirklich
nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬
ders handhabt. Dagegen verſtehn es die
edeln Mahlerkünſtler, mir Sachen und Per¬
ſonen unmittelbar vor die Augen zu ſtellen,
mit ihren freundlichen Farben, mit aller
Wirklichkeit und Lebendigkeit, ſo daß das
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[277/0288] Franz war in Verlegenheit, er wußte nicht, was er ſagen ſollte; der Niederländer fuhr fort: Vor allen andern Künſten in der Welt ergötzt mich immer die Kunſt der Mahlerei am meiſten, und ich begreife es nicht, wie viele Menſchen ſo kalt dagegen ſeyn können. Denn was iſt Poeſie und Muſik, die ſo flüchtig vorüberrauſchen, und uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die Töne, und denn ſind ſie vergeſſen — ſie wa¬ ren, und ſie waren auch nicht; es ſind Klänge und Worte, und ich weiß niemals recht, was ſie mir ſollen. Sie ſind wirklich nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬ ders handhabt. Dagegen verſtehn es die edeln Mahlerkünſtler, mir Sachen und Per¬ ſonen unmittelbar vor die Augen zu ſtellen, mit ihren freundlichen Farben, mit aller Wirklichkeit und Lebendigkeit, ſo daß das Auge, der klügſte und edelſte Sinn des Men¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/288>, abgerufen am 22.11.2024.