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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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daß es mir doch auch einmahl so ging.
Ohne etwas davon zu verstehn, und ohne
die Anlagen von der Natur zu haben, fiel
ich einmahl darauf ein Poet zu seyn. Ich
dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse
müsse ja wohl jedermann machen können,
und ich wunderte mich über mich selber, daß
ich nicht schon weit früher auf die Dichtkunst
verfallen sey. Ich machte also ein zierlich
großes Kupferblatt, und stach mühsam rund
herum meine Verse mit zierlichen Buchsta¬
ben ein: es sollte ein moralisches Gedicht
vorstellen, und ich unterstund mich, der gan¬
zen Welt darinn gute Lehren zu geben.
Wie nun aber alles fertig war, siehe da, so
war es erbärmlich gerathen. Was ich da
für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer
habe ausstehn müssen, der mir lange nicht
meine Verwegenheit vergeben konnte! Er
sagte immer zu mir: Schuster bleib bei

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daß es mir doch auch einmahl ſo ging.
Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne
die Anlagen von der Natur zu haben, fiel
ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich
dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe
müſſe ja wohl jedermann machen können,
und ich wunderte mich über mich ſelber, daß
ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt
verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich
großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund
herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬
ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht
vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬
zen Welt darinn gute Lehren zu geben.
Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo
war es erbärmlich gerathen. Was ich da
für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer
habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht
meine Verwegenheit vergeben konnte! Er
ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei

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[209/0220] daß es mir doch auch einmahl ſo ging. Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe müſſe ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich ſelber, daß ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬ ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬ zen Welt darinn gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo war es erbärmlich gerathen. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergeben konnte! Er ſagte immer zu mir: Schuſter bleib bei O

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/220>, abgerufen am 28.11.2024.