Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. für den Shakspear dichtete, muß nach meinerEinsicht viel von Flecks Vortrag und Darstel- lung gehabt haben, denn diese wunderbaren Uebergänge, diese Interjectionen, dieses Anhal- ten und dann der stürzende Strom der Rede, so wie jene zwischengeworfenen naiven, ja an das Komische gränzenden Naturlaute und Ne- bengedanken gab er so natürlich wahr, daß wir gerade diese Sonderbarkeit des Pathos zuerst verstanden. Sah man ihn in einer dieser großen Dichtungen auftreten, so umleuchtete ihn etwas Ueberirdisches, ein unsichtbares Grauen ging mit ihm und jeder Ton seines Lear, jeder Blick ging durch unser Herz. In der Rolle des Lear zog ich ihn dem großen Schröder vor, denn er nahm sie poetischer und dem Dichter angemesse- ner, indem er nicht so sichtbar auf das Entste- hen und die Entwickelung des Wahnsinnes hin- arbeitete, obgleich er diesen in seiner ganzen furchtbaren Erhabenheit erscheinen ließ. Wer damals seinen Othello sah, hat auch etwas Gro- ßes erlebt. Im Macbeth mag ihn Schröder übertroffen haben, denn den ersten Akt gab er nicht bedeutend genug, und den zweiten schwach, selbst ungewiß, aber vom dritten war er unver- gleichlich und groß im fünften. Sein Shylock (obgleich nach einer ganz schlechten Bearbeitung) war grauenhaft und gespenstisch, aber nie ge- mein, sondern durchaus edel: sein Laertes im Hamlet entsprach wohl nicht der Absicht des Zweite Abtheilung. fuͤr den Shakſpear dichtete, muß nach meinerEinſicht viel von Flecks Vortrag und Darſtel- lung gehabt haben, denn dieſe wunderbaren Uebergaͤnge, dieſe Interjectionen, dieſes Anhal- ten und dann der ſtuͤrzende Strom der Rede, ſo wie jene zwiſchengeworfenen naiven, ja an das Komiſche graͤnzenden Naturlaute und Ne- bengedanken gab er ſo natuͤrlich wahr, daß wir gerade dieſe Sonderbarkeit des Pathos zuerſt verſtanden. Sah man ihn in einer dieſer großen Dichtungen auftreten, ſo umleuchtete ihn etwas Ueberirdiſches, ein unſichtbares Grauen ging mit ihm und jeder Ton ſeines Lear, jeder Blick ging durch unſer Herz. In der Rolle des Lear zog ich ihn dem großen Schroͤder vor, denn er nahm ſie poetiſcher und dem Dichter angemeſſe- ner, indem er nicht ſo ſichtbar auf das Entſte- hen und die Entwickelung des Wahnſinnes hin- arbeitete, obgleich er dieſen in ſeiner ganzen furchtbaren Erhabenheit erſcheinen ließ. Wer damals ſeinen Othello ſah, hat auch etwas Gro- ßes erlebt. Im Macbeth mag ihn Schroͤder uͤbertroffen haben, denn den erſten Akt gab er nicht bedeutend genug, und den zweiten ſchwach, ſelbſt ungewiß, aber vom dritten war er unver- gleichlich und groß im fuͤnften. Sein Shylock (obgleich nach einer ganz ſchlechten Bearbeitung) war grauenhaft und geſpenſtiſch, aber nie ge- mein, ſondern durchaus edel: ſein Laertes im Hamlet entſprach wohl nicht der Abſicht des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0518" n="508"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> fuͤr den Shakſpear dichtete, muß nach meiner<lb/> Einſicht viel von Flecks Vortrag und Darſtel-<lb/> lung gehabt haben, denn dieſe wunderbaren<lb/> Uebergaͤnge, dieſe Interjectionen, dieſes Anhal-<lb/> ten und dann der ſtuͤrzende Strom der Rede,<lb/> ſo wie jene zwiſchengeworfenen naiven, ja an<lb/> das Komiſche graͤnzenden Naturlaute und Ne-<lb/> bengedanken gab er ſo natuͤrlich wahr, daß wir<lb/> gerade dieſe Sonderbarkeit des Pathos zuerſt<lb/> verſtanden. Sah man ihn in einer dieſer großen<lb/> Dichtungen auftreten, ſo umleuchtete ihn etwas<lb/> Ueberirdiſches, ein unſichtbares Grauen ging<lb/> mit ihm und jeder Ton ſeines Lear, jeder Blick<lb/> ging durch unſer Herz. In der Rolle des Lear<lb/> zog ich ihn dem großen Schroͤder vor, denn er<lb/> nahm ſie poetiſcher und dem Dichter angemeſſe-<lb/> ner, indem er nicht ſo ſichtbar auf das Entſte-<lb/> hen und die Entwickelung des Wahnſinnes hin-<lb/> arbeitete, obgleich er dieſen in ſeiner ganzen<lb/> furchtbaren Erhabenheit erſcheinen ließ. Wer<lb/> damals ſeinen Othello ſah, hat auch etwas Gro-<lb/> ßes erlebt. Im Macbeth mag ihn Schroͤder<lb/> uͤbertroffen haben, denn den erſten Akt gab er<lb/> nicht bedeutend genug, und den zweiten ſchwach,<lb/> ſelbſt ungewiß, aber vom dritten war er unver-<lb/> gleichlich und groß im fuͤnften. Sein Shylock<lb/> (obgleich nach einer ganz ſchlechten Bearbeitung)<lb/> war grauenhaft und geſpenſtiſch, aber nie ge-<lb/> mein, ſondern durchaus edel: ſein Laertes im<lb/> Hamlet entſprach wohl nicht der Abſicht des<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [508/0518]
Zweite Abtheilung.
fuͤr den Shakſpear dichtete, muß nach meiner
Einſicht viel von Flecks Vortrag und Darſtel-
lung gehabt haben, denn dieſe wunderbaren
Uebergaͤnge, dieſe Interjectionen, dieſes Anhal-
ten und dann der ſtuͤrzende Strom der Rede,
ſo wie jene zwiſchengeworfenen naiven, ja an
das Komiſche graͤnzenden Naturlaute und Ne-
bengedanken gab er ſo natuͤrlich wahr, daß wir
gerade dieſe Sonderbarkeit des Pathos zuerſt
verſtanden. Sah man ihn in einer dieſer großen
Dichtungen auftreten, ſo umleuchtete ihn etwas
Ueberirdiſches, ein unſichtbares Grauen ging
mit ihm und jeder Ton ſeines Lear, jeder Blick
ging durch unſer Herz. In der Rolle des Lear
zog ich ihn dem großen Schroͤder vor, denn er
nahm ſie poetiſcher und dem Dichter angemeſſe-
ner, indem er nicht ſo ſichtbar auf das Entſte-
hen und die Entwickelung des Wahnſinnes hin-
arbeitete, obgleich er dieſen in ſeiner ganzen
furchtbaren Erhabenheit erſcheinen ließ. Wer
damals ſeinen Othello ſah, hat auch etwas Gro-
ßes erlebt. Im Macbeth mag ihn Schroͤder
uͤbertroffen haben, denn den erſten Akt gab er
nicht bedeutend genug, und den zweiten ſchwach,
ſelbſt ungewiß, aber vom dritten war er unver-
gleichlich und groß im fuͤnften. Sein Shylock
(obgleich nach einer ganz ſchlechten Bearbeitung)
war grauenhaft und geſpenſtiſch, aber nie ge-
mein, ſondern durchaus edel: ſein Laertes im
Hamlet entſprach wohl nicht der Abſicht des
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