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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

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Zweite Abtheilung.
stimmtheit einen Zug am Gemählde, und ver-
schmolz zugleich die um ihn stehenden geringern
Talente so zu einem Ganzen, daß die Darstel-
lung eines solchen Schauspiels zu den höchsten
Genüssen gehört, die wir von der Kunst nur er-
warten können. Wie ein solcher Künstler mit
dem größten Dichter wetteifert und das wahr-
haft erschafft, was dieser oft nur andeuten kann,
so ergänzt er zugleich jene mißrathene Wesen
schwächerer Geister, indem er für sie dichtet,
daher es eine der ungegründetesten Behauptun-
gen ist, daß die schlechte Poesie, sich nicht mei-
sterhaft darstellen ließe. Nie werde ich zum Bei-
spiel Schröders alten Gouverneur im Benjowski
vergessen, die letzte Scene ward durch sein Spiel
zum Erhabensten und Herzrührendsten, was die
Kunst nur hervor bringen kann: eine Scene und
eine Rolle, mit welcher der unvergleichliche Fleck
gar nichts anzufangen wußte, die er, möchte man
sagen, um einen Ausdruck vom Mahler zu bor-
gen, nur sudelte. Sah man Schröder im Ko-
mischen, so zweifelte man, ob man ihn hier nicht
noch größer und origineller nennen sollte. Diese
Ruhe und Behaglichkeit, diese Weise, durch ei-
nen Ton oder Blick eine Tiefe des Lächerlichen
aufzudecken, diese Gemessenheit, ohne jene mo-
derne Furcht vor der Uebertreibung, läßt sich
schwerlich in Worten ausdrücken, alle können
nur demjenigen eine Erinnerung erwecken, der
diesen Genuß selber erlebt hat.


Zweite Abtheilung.
ſtimmtheit einen Zug am Gemaͤhlde, und ver-
ſchmolz zugleich die um ihn ſtehenden geringern
Talente ſo zu einem Ganzen, daß die Darſtel-
lung eines ſolchen Schauſpiels zu den hoͤchſten
Genuͤſſen gehoͤrt, die wir von der Kunſt nur er-
warten koͤnnen. Wie ein ſolcher Kuͤnſtler mit
dem groͤßten Dichter wetteifert und das wahr-
haft erſchafft, was dieſer oft nur andeuten kann,
ſo ergaͤnzt er zugleich jene mißrathene Weſen
ſchwaͤcherer Geiſter, indem er fuͤr ſie dichtet,
daher es eine der ungegruͤndeteſten Behauptun-
gen iſt, daß die ſchlechte Poeſie, ſich nicht mei-
ſterhaft darſtellen ließe. Nie werde ich zum Bei-
ſpiel Schroͤders alten Gouverneur im Benjowski
vergeſſen, die letzte Scene ward durch ſein Spiel
zum Erhabenſten und Herzruͤhrendſten, was die
Kunſt nur hervor bringen kann: eine Scene und
eine Rolle, mit welcher der unvergleichliche Fleck
gar nichts anzufangen wußte, die er, moͤchte man
ſagen, um einen Ausdruck vom Mahler zu bor-
gen, nur ſudelte. Sah man Schroͤder im Ko-
miſchen, ſo zweifelte man, ob man ihn hier nicht
noch groͤßer und origineller nennen ſollte. Dieſe
Ruhe und Behaglichkeit, dieſe Weiſe, durch ei-
nen Ton oder Blick eine Tiefe des Laͤcherlichen
aufzudecken, dieſe Gemeſſenheit, ohne jene mo-
derne Furcht vor der Uebertreibung, laͤßt ſich
ſchwerlich in Worten ausdruͤcken, alle koͤnnen
nur demjenigen eine Erinnerung erwecken, der
dieſen Genuß ſelber erlebt hat.


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[503/0513] Zweite Abtheilung. ſtimmtheit einen Zug am Gemaͤhlde, und ver- ſchmolz zugleich die um ihn ſtehenden geringern Talente ſo zu einem Ganzen, daß die Darſtel- lung eines ſolchen Schauſpiels zu den hoͤchſten Genuͤſſen gehoͤrt, die wir von der Kunſt nur er- warten koͤnnen. Wie ein ſolcher Kuͤnſtler mit dem groͤßten Dichter wetteifert und das wahr- haft erſchafft, was dieſer oft nur andeuten kann, ſo ergaͤnzt er zugleich jene mißrathene Weſen ſchwaͤcherer Geiſter, indem er fuͤr ſie dichtet, daher es eine der ungegruͤndeteſten Behauptun- gen iſt, daß die ſchlechte Poeſie, ſich nicht mei- ſterhaft darſtellen ließe. Nie werde ich zum Bei- ſpiel Schroͤders alten Gouverneur im Benjowski vergeſſen, die letzte Scene ward durch ſein Spiel zum Erhabenſten und Herzruͤhrendſten, was die Kunſt nur hervor bringen kann: eine Scene und eine Rolle, mit welcher der unvergleichliche Fleck gar nichts anzufangen wußte, die er, moͤchte man ſagen, um einen Ausdruck vom Mahler zu bor- gen, nur ſudelte. Sah man Schroͤder im Ko- miſchen, ſo zweifelte man, ob man ihn hier nicht noch groͤßer und origineller nennen ſollte. Dieſe Ruhe und Behaglichkeit, dieſe Weiſe, durch ei- nen Ton oder Blick eine Tiefe des Laͤcherlichen aufzudecken, dieſe Gemeſſenheit, ohne jene mo- derne Furcht vor der Uebertreibung, laͤßt ſich ſchwerlich in Worten ausdruͤcken, alle koͤnnen nur demjenigen eine Erinnerung erwecken, der dieſen Genuß ſelber erlebt hat.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/513>, abgerufen am 23.11.2024.