Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. Was rennst Du mit der Stirn an diese Bäume?Was klagst Du, daß Dein Wehgeschrei die Oede Durchschallt, die lange schon verlernte, Worte, Des Menschen nachzusprechen? Andalosia. Heilger Vater, Bist Du ein Engel, mir gesandt zur Rettung? Bist Du ein Mensch? Schlägt Dir ein Herz, o Alter, In diesem weiten rauhen Kleide, hilf! O tröste mindestens, o sprich zu mir, Dein Mitleid rede, weine, hilf mir schrein! O Mensch! -- ich -- sieh, -- ich, rathe, hilf, -- Erbarmen! Einsiedler. Nun sammle Dich, kehr Dir erst selbst zurück; Das höchste Elend, wie es uns umlagert Und in uns stürmend bricht, trift es im Innern Uns selbst nur noch, so scheut es sich, mit Grimm Uns anzublicken, krümmt sich furchtsam, kriecht, Wie es als Ungeheuer entgegen trat: So wie die Heiligen der Wüste lächelnd Mit Augenwink die Leun und Tiger zähmten. Andalosia. O guter Rather, Ihr könnt leichtlich sprechen, Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren? Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts, Wenn Ihr Euch durch die Dornensträuche drängtet! Doch wüßtet Ihr, was ich besaß, was mir Durch Tücke, Zufall, eignen Blödsinn jetzt Entrissen ward, dann wundertet Ihr Euch, Daß ich noch athmen, sprechen, leben kann. Zweite Abtheilung. Was rennſt Du mit der Stirn an dieſe Baͤume?Was klagſt Du, daß Dein Wehgeſchrei die Oede Durchſchallt, die lange ſchon verlernte, Worte, Des Menſchen nachzuſprechen? Andaloſia. Heilger Vater, Biſt Du ein Engel, mir geſandt zur Rettung? Biſt Du ein Menſch? Schlaͤgt Dir ein Herz, o Alter, In dieſem weiten rauhen Kleide, hilf! O troͤſte mindeſtens, o ſprich zu mir, Dein Mitleid rede, weine, hilf mir ſchrein! O Menſch! — ich — ſieh, — ich, rathe, hilf, — Erbarmen! Einſiedler. Nun ſammle Dich, kehr Dir erſt ſelbſt zuruͤck; Das hoͤchſte Elend, wie es uns umlagert Und in uns ſtuͤrmend bricht, trift es im Innern Uns ſelbſt nur noch, ſo ſcheut es ſich, mit Grimm Uns anzublicken, kruͤmmt ſich furchtſam, kriecht, Wie es als Ungeheuer entgegen trat: So wie die Heiligen der Wuͤſte laͤchelnd Mit Augenwink die Leun und Tiger zaͤhmten. Andaloſia. O guter Rather, Ihr koͤnnt leichtlich ſprechen, Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren? Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts, Wenn Ihr Euch durch die Dornenſtraͤuche draͤngtet! Doch wuͤßtet Ihr, was ich beſaß, was mir Durch Tuͤcke, Zufall, eignen Bloͤdſinn jetzt Entriſſen ward, dann wundertet Ihr Euch, Daß ich noch athmen, ſprechen, leben kann. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#Einſiedler"> <p><pb facs="#f0366" n="356"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> Was rennſt Du mit der Stirn an dieſe Baͤume?<lb/> Was klagſt Du, daß Dein Wehgeſchrei die Oede<lb/> Durchſchallt, die lange ſchon verlernte, Worte,<lb/> Des Menſchen nachzuſprechen?</p> </sp><lb/> <sp who="#Andaloſia"> <speaker><hi rendition="#g">Andaloſia</hi>.</speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Heilger Vater,</hi><lb/> Biſt Du ein Engel, mir geſandt zur Rettung?<lb/> Biſt Du ein Menſch? Schlaͤgt Dir ein Herz,<lb/><hi rendition="#et">o Alter,</hi><lb/> In dieſem weiten rauhen Kleide, hilf!<lb/> O troͤſte mindeſtens, o ſprich zu mir,<lb/> Dein Mitleid rede, weine, hilf mir ſchrein!<lb/> O Menſch! — ich — ſieh, — ich, rathe, hilf, —<lb/><hi rendition="#et">Erbarmen!</hi></p> </sp><lb/> <sp who="#Einſiedler"> <speaker><hi rendition="#g">Einſiedler</hi>.</speaker><lb/> <p>Nun ſammle Dich, kehr Dir erſt ſelbſt zuruͤck;<lb/> Das hoͤchſte Elend, wie es uns umlagert<lb/> Und in uns ſtuͤrmend bricht, trift es im Innern<lb/> Uns ſelbſt nur noch, ſo ſcheut es ſich, mit Grimm<lb/> Uns anzublicken, kruͤmmt ſich furchtſam, kriecht,<lb/> Wie es als Ungeheuer entgegen trat:<lb/> So wie die Heiligen der Wuͤſte laͤchelnd<lb/> Mit Augenwink die Leun und Tiger zaͤhmten.</p> </sp><lb/> <sp who="#Andaloſia"> <speaker><hi rendition="#g">Andaloſia</hi>.</speaker><lb/> <p>O guter Rather, Ihr koͤnnt leichtlich ſprechen,<lb/> Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren?<lb/> Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts,<lb/> Wenn Ihr Euch durch die Dornenſtraͤuche draͤngtet!<lb/> Doch wuͤßtet Ihr, was ich beſaß, was mir<lb/> Durch Tuͤcke, Zufall, eignen Bloͤdſinn jetzt<lb/> Entriſſen ward, dann wundertet Ihr Euch,<lb/> Daß ich noch athmen, ſprechen, leben kann.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [356/0366]
Zweite Abtheilung.
Was rennſt Du mit der Stirn an dieſe Baͤume?
Was klagſt Du, daß Dein Wehgeſchrei die Oede
Durchſchallt, die lange ſchon verlernte, Worte,
Des Menſchen nachzuſprechen?
Andaloſia.
Heilger Vater,
Biſt Du ein Engel, mir geſandt zur Rettung?
Biſt Du ein Menſch? Schlaͤgt Dir ein Herz,
o Alter,
In dieſem weiten rauhen Kleide, hilf!
O troͤſte mindeſtens, o ſprich zu mir,
Dein Mitleid rede, weine, hilf mir ſchrein!
O Menſch! — ich — ſieh, — ich, rathe, hilf, —
Erbarmen!
Einſiedler.
Nun ſammle Dich, kehr Dir erſt ſelbſt zuruͤck;
Das hoͤchſte Elend, wie es uns umlagert
Und in uns ſtuͤrmend bricht, trift es im Innern
Uns ſelbſt nur noch, ſo ſcheut es ſich, mit Grimm
Uns anzublicken, kruͤmmt ſich furchtſam, kriecht,
Wie es als Ungeheuer entgegen trat:
So wie die Heiligen der Wuͤſte laͤchelnd
Mit Augenwink die Leun und Tiger zaͤhmten.
Andaloſia.
O guter Rather, Ihr koͤnnt leichtlich ſprechen,
Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren?
Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts,
Wenn Ihr Euch durch die Dornenſtraͤuche draͤngtet!
Doch wuͤßtet Ihr, was ich beſaß, was mir
Durch Tuͤcke, Zufall, eignen Bloͤdſinn jetzt
Entriſſen ward, dann wundertet Ihr Euch,
Daß ich noch athmen, ſprechen, leben kann.
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/366>, abgerufen am 16.07.2024. |