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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der Blaubart.
Ihr könnt euch leicht zwingen, weil Ihr im Grunde
gar nichts wollt. Der Geist ist nur ein Diener
Eures Körpers, eine fast unnöthige Zugabe zu dem
Dinge, das da ißt und trinkt, folglich, wenn Ihr
von Euch selbst sprecht, so meint Ihr immer je-
mand anders, im Grunde Eure Launen, Euren
Appetit; diesem thut Ihr alles zu Gefallen, ihm
zu Gefallen denkt und sorgt Ihr nicht, ihn auf-
recht zu erhalten zerstreut Ihr Euch, wie Ihr es
nennt. Wenn Ihr also von Eurem Ich sprecht,
so meint Ihr nur Euren Magen, Ihr könnt nicht
ernsthaft an Euch selbst denken, ohne daß Ihr so-
gleich mit einem Seufzer dazwischen rennt: ach!
heute Mittag wird mir gewiß das Essen nicht
schmecken! und so Euren Sinn gewaltsam wieder
von Euch abwendet.
Anne. Ach, Bruder, ich verstehe dich recht
gut, und das Schlimmste ist, daß Du Recht hast.
Simon. Wann hätte ich denn wohl Unrecht?
Ihr gebt Euch nur niemals die Mühe, mich zu
verstehn. Alle Gedanken, die Euch nicht gefallen,
möchtet Ihr gar zu gern für Unsinn ausgeben,
damit Ihr nur behaupten könnet, das Leben sei
doch etwas werth. Alle Menschen würden melan-
kolisch seyn, wenn sie sich nur vor ihren Nichts-
würdigkeiten die Zeit dazu ließen. -- Da kömmt
der Arzt schon wieder, und meint, wenn ich nur
seine Pulver nehmen wollte, würde es schon besser
mit mir werden.

Der Blaubart.
Ihr koͤnnt euch leicht zwingen, weil Ihr im Grunde
gar nichts wollt. Der Geiſt iſt nur ein Diener
Eures Koͤrpers, eine faſt unnoͤthige Zugabe zu dem
Dinge, das da ißt und trinkt, folglich, wenn Ihr
von Euch ſelbſt ſprecht, ſo meint Ihr immer je-
mand anders, im Grunde Eure Launen, Euren
Appetit; dieſem thut Ihr alles zu Gefallen, ihm
zu Gefallen denkt und ſorgt Ihr nicht, ihn auf-
recht zu erhalten zerſtreut Ihr Euch, wie Ihr es
nennt. Wenn Ihr alſo von Eurem Ich ſprecht,
ſo meint Ihr nur Euren Magen, Ihr koͤnnt nicht
ernſthaft an Euch ſelbſt denken, ohne daß Ihr ſo-
gleich mit einem Seufzer dazwiſchen rennt: ach!
heute Mittag wird mir gewiß das Eſſen nicht
ſchmecken! und ſo Euren Sinn gewaltſam wieder
von Euch abwendet.
Anne. Ach, Bruder, ich verſtehe dich recht
gut, und das Schlimmſte iſt, daß Du Recht haſt.
Simon. Wann haͤtte ich denn wohl Unrecht?
Ihr gebt Euch nur niemals die Muͤhe, mich zu
verſtehn. Alle Gedanken, die Euch nicht gefallen,
moͤchtet Ihr gar zu gern fuͤr Unſinn ausgeben,
damit Ihr nur behaupten koͤnnet, das Leben ſei
doch etwas werth. Alle Menſchen wuͤrden melan-
koliſch ſeyn, wenn ſie ſich nur vor ihren Nichts-
wuͤrdigkeiten die Zeit dazu ließen. — Da koͤmmt
der Arzt ſchon wieder, und meint, wenn ich nur
ſeine Pulver nehmen wollte, wuͤrde es ſchon beſſer
mit mir werden.

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[57/0066] Der Blaubart. Ihr koͤnnt euch leicht zwingen, weil Ihr im Grunde gar nichts wollt. Der Geiſt iſt nur ein Diener Eures Koͤrpers, eine faſt unnoͤthige Zugabe zu dem Dinge, das da ißt und trinkt, folglich, wenn Ihr von Euch ſelbſt ſprecht, ſo meint Ihr immer je- mand anders, im Grunde Eure Launen, Euren Appetit; dieſem thut Ihr alles zu Gefallen, ihm zu Gefallen denkt und ſorgt Ihr nicht, ihn auf- recht zu erhalten zerſtreut Ihr Euch, wie Ihr es nennt. Wenn Ihr alſo von Eurem Ich ſprecht, ſo meint Ihr nur Euren Magen, Ihr koͤnnt nicht ernſthaft an Euch ſelbſt denken, ohne daß Ihr ſo- gleich mit einem Seufzer dazwiſchen rennt: ach! heute Mittag wird mir gewiß das Eſſen nicht ſchmecken! und ſo Euren Sinn gewaltſam wieder von Euch abwendet. Anne. Ach, Bruder, ich verſtehe dich recht gut, und das Schlimmſte iſt, daß Du Recht haſt. Simon. Wann haͤtte ich denn wohl Unrecht? Ihr gebt Euch nur niemals die Muͤhe, mich zu verſtehn. Alle Gedanken, die Euch nicht gefallen, moͤchtet Ihr gar zu gern fuͤr Unſinn ausgeben, damit Ihr nur behaupten koͤnnet, das Leben ſei doch etwas werth. Alle Menſchen wuͤrden melan- koliſch ſeyn, wenn ſie ſich nur vor ihren Nichts- wuͤrdigkeiten die Zeit dazu ließen. — Da koͤmmt der Arzt ſchon wieder, und meint, wenn ich nur ſeine Pulver nehmen wollte, wuͤrde es ſchon beſſer mit mir werden.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/66>, abgerufen am 13.05.2024.