Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
deshalb auch wirklich unbegreiflich sind, und zu
diesen gehört jener Ausspruch. Rousseaus thö-
richtes Werk ist nur erträglich, wenn ein wahr-
haft schöner Jüngling, von Jugend- Enthusias-
mus und seinem Gegenstande begeistert und be-
rauscht mit der wohltönendsten Stimme es vor-
trägt, so daß wir wie im wirklichen Traum das
Ungeziemliche, Widernatürliche und Kunstlose ver-
gessen: aber bei unserm Pygmalion war von al-
lem diesen das Gegentheil, selbst die Kleidung
war unvortheilhaft und geschmacklos, und diese
Erscheinung ängstigte fast wie eine gespenstische
in schweren Träumen. Ich behalte mir vor,
diese Behauptungen über das tragische Spiel
bei andrer Gelegenheit ernster und gründlicher
darzuthun, denn gern möchte ich dankbar Flecks
hohem Genius ein Opfer bringen, welcher meine
Jugend mit der höchsten Begeisterung und der
schönsten Poesie genährt hat. Sein Othello, Lear,
Macbeth, Karl Moor, Wallenstein, Otto von
Wittelsbach, so wie viele andere Charaktere,
sind vielleicht, seit wir eine Bühne haben, nur
einmal so gesehn worden, und kehren schwerlich
in dieser Hoheit jemals zurück.

Es wäre wohl gut gewesen, sagte Rosalie,
wenn dasjenige, was man in Weimar für die
Bühne gethan hat, an einem großen Orte ge-
schehn wäre, damit es auf ganz Deutschland
eine Wirkung hätte haben können.

Diese Bemühungen, antwortete Ernst, sind

Zweite Abtheilung.
deshalb auch wirklich unbegreiflich ſind, und zu
dieſen gehoͤrt jener Ausſpruch. Rouſſeaus thoͤ-
richtes Werk iſt nur ertraͤglich, wenn ein wahr-
haft ſchoͤner Juͤngling, von Jugend- Enthuſias-
mus und ſeinem Gegenſtande begeiſtert und be-
rauſcht mit der wohltoͤnendſten Stimme es vor-
traͤgt, ſo daß wir wie im wirklichen Traum das
Ungeziemliche, Widernatuͤrliche und Kunſtloſe ver-
geſſen: aber bei unſerm Pygmalion war von al-
lem dieſen das Gegentheil, ſelbſt die Kleidung
war unvortheilhaft und geſchmacklos, und dieſe
Erſcheinung aͤngſtigte faſt wie eine geſpenſtiſche
in ſchweren Traͤumen. Ich behalte mir vor,
dieſe Behauptungen uͤber das tragiſche Spiel
bei andrer Gelegenheit ernſter und gruͤndlicher
darzuthun, denn gern moͤchte ich dankbar Flecks
hohem Genius ein Opfer bringen, welcher meine
Jugend mit der hoͤchſten Begeiſterung und der
ſchoͤnſten Poeſie genaͤhrt hat. Sein Othello, Lear,
Macbeth, Karl Moor, Wallenſtein, Otto von
Wittelsbach, ſo wie viele andere Charaktere,
ſind vielleicht, ſeit wir eine Buͤhne haben, nur
einmal ſo geſehn worden, und kehren ſchwerlich
in dieſer Hoheit jemals zuruͤck.

Es waͤre wohl gut geweſen, ſagte Roſalie,
wenn dasjenige, was man in Weimar fuͤr die
Buͤhne gethan hat, an einem großen Orte ge-
ſchehn waͤre, damit es auf ganz Deutſchland
eine Wirkung haͤtte haben koͤnnen.

Dieſe Bemuͤhungen, antwortete Ernſt, ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0444" n="435"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
deshalb auch wirklich unbegreiflich &#x017F;ind, und zu<lb/>
die&#x017F;en geho&#x0364;rt jener Aus&#x017F;pruch. Rou&#x017F;&#x017F;eaus tho&#x0364;-<lb/>
richtes Werk i&#x017F;t nur ertra&#x0364;glich, wenn ein wahr-<lb/>
haft &#x017F;cho&#x0364;ner Ju&#x0364;ngling, von Jugend- Enthu&#x017F;ias-<lb/>
mus und &#x017F;einem Gegen&#x017F;tande begei&#x017F;tert und be-<lb/>
rau&#x017F;cht mit der wohlto&#x0364;nend&#x017F;ten Stimme es vor-<lb/>
tra&#x0364;gt, &#x017F;o daß wir wie im wirklichen Traum das<lb/>
Ungeziemliche, Widernatu&#x0364;rliche und Kun&#x017F;tlo&#x017F;e ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en: aber bei un&#x017F;erm Pygmalion war von al-<lb/>
lem die&#x017F;en das Gegentheil, &#x017F;elb&#x017F;t die Kleidung<lb/>
war unvortheilhaft und ge&#x017F;chmacklos, und die&#x017F;e<lb/>
Er&#x017F;cheinung a&#x0364;ng&#x017F;tigte fa&#x017F;t wie eine ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
in &#x017F;chweren Tra&#x0364;umen. Ich behalte mir vor,<lb/>
die&#x017F;e Behauptungen u&#x0364;ber das tragi&#x017F;che Spiel<lb/>
bei andrer Gelegenheit ern&#x017F;ter und gru&#x0364;ndlicher<lb/>
darzuthun, denn gern mo&#x0364;chte ich dankbar Flecks<lb/>
hohem Genius ein Opfer bringen, welcher meine<lb/>
Jugend mit der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Begei&#x017F;terung und der<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Poe&#x017F;ie gena&#x0364;hrt hat. Sein Othello, Lear,<lb/>
Macbeth, Karl Moor, Wallen&#x017F;tein, Otto von<lb/>
Wittelsbach, &#x017F;o wie viele andere Charaktere,<lb/>
&#x017F;ind vielleicht, &#x017F;eit wir eine Bu&#x0364;hne haben, nur<lb/>
einmal &#x017F;o ge&#x017F;ehn worden, und kehren &#x017F;chwerlich<lb/>
in die&#x017F;er Hoheit jemals zuru&#x0364;ck.</p><lb/>
            <p>Es wa&#x0364;re wohl gut gewe&#x017F;en, &#x017F;agte Ro&#x017F;alie,<lb/>
wenn dasjenige, was man in Weimar fu&#x0364;r die<lb/>
Bu&#x0364;hne gethan hat, an einem großen Orte ge-<lb/>
&#x017F;chehn wa&#x0364;re, damit es auf ganz Deut&#x017F;chland<lb/>
eine Wirkung ha&#x0364;tte haben ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Bemu&#x0364;hungen, antwortete Ern&#x017F;t, &#x017F;ind<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0444] Zweite Abtheilung. deshalb auch wirklich unbegreiflich ſind, und zu dieſen gehoͤrt jener Ausſpruch. Rouſſeaus thoͤ- richtes Werk iſt nur ertraͤglich, wenn ein wahr- haft ſchoͤner Juͤngling, von Jugend- Enthuſias- mus und ſeinem Gegenſtande begeiſtert und be- rauſcht mit der wohltoͤnendſten Stimme es vor- traͤgt, ſo daß wir wie im wirklichen Traum das Ungeziemliche, Widernatuͤrliche und Kunſtloſe ver- geſſen: aber bei unſerm Pygmalion war von al- lem dieſen das Gegentheil, ſelbſt die Kleidung war unvortheilhaft und geſchmacklos, und dieſe Erſcheinung aͤngſtigte faſt wie eine geſpenſtiſche in ſchweren Traͤumen. Ich behalte mir vor, dieſe Behauptungen uͤber das tragiſche Spiel bei andrer Gelegenheit ernſter und gruͤndlicher darzuthun, denn gern moͤchte ich dankbar Flecks hohem Genius ein Opfer bringen, welcher meine Jugend mit der hoͤchſten Begeiſterung und der ſchoͤnſten Poeſie genaͤhrt hat. Sein Othello, Lear, Macbeth, Karl Moor, Wallenſtein, Otto von Wittelsbach, ſo wie viele andere Charaktere, ſind vielleicht, ſeit wir eine Buͤhne haben, nur einmal ſo geſehn worden, und kehren ſchwerlich in dieſer Hoheit jemals zuruͤck. Es waͤre wohl gut geweſen, ſagte Roſalie, wenn dasjenige, was man in Weimar fuͤr die Buͤhne gethan hat, an einem großen Orte ge- ſchehn waͤre, damit es auf ganz Deutſchland eine Wirkung haͤtte haben koͤnnen. Dieſe Bemuͤhungen, antwortete Ernſt, ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/444
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/444>, abgerufen am 19.05.2024.