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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
löblich, so wie die mannigfaltigen Versuche sehr
interessant gewesen, vorzüglich in jenem kleineren
Kreise, doch könnten sich Wirkungen im Großen
niemals empfinden lassen, weil jener merkwür-
dige Mann, welcher dort die Sache führt, so
sehr er das Schlechte verabscheut, fast eine noch
größere Furcht vor dem Genialischen zu haben
scheint. Er vermeidet nichts so sehr als das Bi-
zarre, und doch ist sein Streben von je an, durch
Opposition auf der einen Seite, und auf der
andern durch den Trieb sich der Welt und ihren
Forderungen zu bequemen, unbestimmt und bi-
zarr erschienen. Die polemische Sucht treibt ihn
eben so oft gegen das Geniale, als der Trieb,
sich dem Gewöhnlichen zu fügen, ihn zum Selt-
samen bewegt, und in dieser Schwankung ist
das, was er in der Kunst überall, nicht bloß
in der theatralischen, bewirken möchte, mehr ein
Negatives als ein Positives, mehr ein Vermei-
den des Ungeziemlichen, als ein Erstreben des
Hohen; wenn ein Charakter sich erst so gestellt
hat, sind Vorurtheile mancherlei Art und der
Kampf dafür nicht gut zu vermeiden, und dar-
um darf man sich nicht wundern, wenn sein
Bemühen keine Begeisterung, keinen eigen-
thümlichen Schwung je wird veranlassen kön-
nen. Was er als Dichter gewirkt, vorzüglich
früh, ist eine andre Betrachtung. Solche Men-
schen, wie der große Lorenzo der Medicäer, von

Zweite Abtheilung.
loͤblich, ſo wie die mannigfaltigen Verſuche ſehr
intereſſant geweſen, vorzuͤglich in jenem kleineren
Kreiſe, doch koͤnnten ſich Wirkungen im Großen
niemals empfinden laſſen, weil jener merkwuͤr-
dige Mann, welcher dort die Sache fuͤhrt, ſo
ſehr er das Schlechte verabſcheut, faſt eine noch
groͤßere Furcht vor dem Genialiſchen zu haben
ſcheint. Er vermeidet nichts ſo ſehr als das Bi-
zarre, und doch iſt ſein Streben von je an, durch
Oppoſition auf der einen Seite, und auf der
andern durch den Trieb ſich der Welt und ihren
Forderungen zu bequemen, unbeſtimmt und bi-
zarr erſchienen. Die polemiſche Sucht treibt ihn
eben ſo oft gegen das Geniale, als der Trieb,
ſich dem Gewoͤhnlichen zu fuͤgen, ihn zum Selt-
ſamen bewegt, und in dieſer Schwankung iſt
das, was er in der Kunſt uͤberall, nicht bloß
in der theatraliſchen, bewirken moͤchte, mehr ein
Negatives als ein Poſitives, mehr ein Vermei-
den des Ungeziemlichen, als ein Erſtreben des
Hohen; wenn ein Charakter ſich erſt ſo geſtellt
hat, ſind Vorurtheile mancherlei Art und der
Kampf dafuͤr nicht gut zu vermeiden, und dar-
um darf man ſich nicht wundern, wenn ſein
Bemuͤhen keine Begeiſterung, keinen eigen-
thuͤmlichen Schwung je wird veranlaſſen koͤn-
nen. Was er als Dichter gewirkt, vorzuͤglich
fruͤh, iſt eine andre Betrachtung. Solche Men-
ſchen, wie der große Lorenzo der Medicaͤer, von

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[436/0445] Zweite Abtheilung. loͤblich, ſo wie die mannigfaltigen Verſuche ſehr intereſſant geweſen, vorzuͤglich in jenem kleineren Kreiſe, doch koͤnnten ſich Wirkungen im Großen niemals empfinden laſſen, weil jener merkwuͤr- dige Mann, welcher dort die Sache fuͤhrt, ſo ſehr er das Schlechte verabſcheut, faſt eine noch groͤßere Furcht vor dem Genialiſchen zu haben ſcheint. Er vermeidet nichts ſo ſehr als das Bi- zarre, und doch iſt ſein Streben von je an, durch Oppoſition auf der einen Seite, und auf der andern durch den Trieb ſich der Welt und ihren Forderungen zu bequemen, unbeſtimmt und bi- zarr erſchienen. Die polemiſche Sucht treibt ihn eben ſo oft gegen das Geniale, als der Trieb, ſich dem Gewoͤhnlichen zu fuͤgen, ihn zum Selt- ſamen bewegt, und in dieſer Schwankung iſt das, was er in der Kunſt uͤberall, nicht bloß in der theatraliſchen, bewirken moͤchte, mehr ein Negatives als ein Poſitives, mehr ein Vermei- den des Ungeziemlichen, als ein Erſtreben des Hohen; wenn ein Charakter ſich erſt ſo geſtellt hat, ſind Vorurtheile mancherlei Art und der Kampf dafuͤr nicht gut zu vermeiden, und dar- um darf man ſich nicht wundern, wenn ſein Bemuͤhen keine Begeiſterung, keinen eigen- thuͤmlichen Schwung je wird veranlaſſen koͤn- nen. Was er als Dichter gewirkt, vorzuͤglich fruͤh, iſt eine andre Betrachtung. Solche Men- ſchen, wie der große Lorenzo der Medicaͤer, von

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/445>, abgerufen am 23.11.2024.