Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
Tableaus und Seltsamkeiten die Menge und die
anmaßlichen Kenner blendet. Ich habe bis jetzt
in Deutschland nur drei Tragödienspieler im gro-
ßen Styl gesehn, vor allen den unvergeßlichen
Fleck, den unnachahmlichen Schröder, und den
treflichen Lange in Wien. Sie waren in jener
Schule erzogen, die sich durch die Begeisterung
an Shakspear, an der Liebe zum Großen, Star-
ken und Furchtbaren bildete; der eine ist der
Kunst zu früh gestorben, der andre hat sich ganz
und der letzte zum Theil dem Theater entzogen.
Wir hören nun allenthalben die anmaßlichen Kri-
tiker von verunglückten Schauspielern sprechen,
von wüthenden Schreiern, und nur jene Fein-
heit, Schwächlichkeit und Kleinlichkeit als tra-
gisches Spiel preisen, welches nur etwas weni-
ger gebrechlich, lächerlich seyn würde. Was soll
man aber noch sagen, da Iffland ja selbst im
Monodram als Pygmalion aufgetreten ist? Diese
poetische Thorheit war gewiß das Widernatür-
lichste, was er je dargestellt hat.

Sie erscheinen, sagte Emilie, in dieser aus-
geführten Meinung, ziemlich paradox, denn ge-
rade was diese letzte Darstellung betrift, erinnre
ich mich der Worte eines verehrten Autors, daß
dieser Pygmalion ihm eine Anschauung des al-
ten Kothurns gegeben habe.

Theure Freundin, sagte Ernst lächelnd, es
giebt tausend Dinge auf Erden, von denen sich
unsre Philosophie nichts träumen läßt, und die

Zweite Abtheilung.
Tableaus und Seltſamkeiten die Menge und die
anmaßlichen Kenner blendet. Ich habe bis jetzt
in Deutſchland nur drei Tragoͤdienſpieler im gro-
ßen Styl geſehn, vor allen den unvergeßlichen
Fleck, den unnachahmlichen Schroͤder, und den
treflichen Lange in Wien. Sie waren in jener
Schule erzogen, die ſich durch die Begeiſterung
an Shakſpear, an der Liebe zum Großen, Star-
ken und Furchtbaren bildete; der eine iſt der
Kunſt zu fruͤh geſtorben, der andre hat ſich ganz
und der letzte zum Theil dem Theater entzogen.
Wir hoͤren nun allenthalben die anmaßlichen Kri-
tiker von verungluͤckten Schauſpielern ſprechen,
von wuͤthenden Schreiern, und nur jene Fein-
heit, Schwaͤchlichkeit und Kleinlichkeit als tra-
giſches Spiel preiſen, welches nur etwas weni-
ger gebrechlich, laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Was ſoll
man aber noch ſagen, da Iffland ja ſelbſt im
Monodram als Pygmalion aufgetreten iſt? Dieſe
poetiſche Thorheit war gewiß das Widernatuͤr-
lichſte, was er je dargeſtellt hat.

Sie erſcheinen, ſagte Emilie, in dieſer aus-
gefuͤhrten Meinung, ziemlich paradox, denn ge-
rade was dieſe letzte Darſtellung betrift, erinnre
ich mich der Worte eines verehrten Autors, daß
dieſer Pygmalion ihm eine Anſchauung des al-
ten Kothurns gegeben habe.

Theure Freundin, ſagte Ernſt laͤchelnd, es
giebt tauſend Dinge auf Erden, von denen ſich
unſre Philoſophie nichts traͤumen laͤßt, und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0443" n="434"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
Tableaus und Selt&#x017F;amkeiten die Menge und die<lb/>
anmaßlichen Kenner blendet. Ich habe bis jetzt<lb/>
in Deut&#x017F;chland nur drei Trago&#x0364;dien&#x017F;pieler im gro-<lb/>
ßen Styl ge&#x017F;ehn, vor allen den unvergeßlichen<lb/>
Fleck, den unnachahmlichen Schro&#x0364;der, und den<lb/>
treflichen Lange in Wien. Sie waren in jener<lb/>
Schule erzogen, die &#x017F;ich durch die Begei&#x017F;terung<lb/>
an Shak&#x017F;pear, an der Liebe zum Großen, Star-<lb/>
ken und Furchtbaren bildete; der eine i&#x017F;t der<lb/>
Kun&#x017F;t zu fru&#x0364;h ge&#x017F;torben, der andre hat &#x017F;ich ganz<lb/>
und der letzte zum Theil dem Theater entzogen.<lb/>
Wir ho&#x0364;ren nun allenthalben die anmaßlichen Kri-<lb/>
tiker von verunglu&#x0364;ckten Schau&#x017F;pielern &#x017F;prechen,<lb/>
von wu&#x0364;thenden Schreiern, und nur jene Fein-<lb/>
heit, Schwa&#x0364;chlichkeit und Kleinlichkeit als tra-<lb/>
gi&#x017F;ches Spiel prei&#x017F;en, welches nur etwas weni-<lb/>
ger gebrechlich, la&#x0364;cherlich &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Was &#x017F;oll<lb/>
man aber noch &#x017F;agen, da Iffland ja &#x017F;elb&#x017F;t im<lb/>
Monodram als Pygmalion aufgetreten i&#x017F;t? Die&#x017F;e<lb/>
poeti&#x017F;che Thorheit war gewiß das Widernatu&#x0364;r-<lb/>
lich&#x017F;te, was er je darge&#x017F;tellt hat.</p><lb/>
            <p>Sie er&#x017F;cheinen, &#x017F;agte Emilie, in die&#x017F;er aus-<lb/>
gefu&#x0364;hrten Meinung, ziemlich paradox, denn ge-<lb/>
rade was die&#x017F;e letzte Dar&#x017F;tellung betrift, erinnre<lb/>
ich mich der Worte eines verehrten Autors, daß<lb/>
die&#x017F;er Pygmalion ihm eine An&#x017F;chauung des al-<lb/>
ten Kothurns gegeben habe.</p><lb/>
            <p>Theure Freundin, &#x017F;agte Ern&#x017F;t la&#x0364;chelnd, es<lb/>
giebt tau&#x017F;end Dinge auf Erden, von denen &#x017F;ich<lb/>
un&#x017F;re Philo&#x017F;ophie nichts tra&#x0364;umen la&#x0364;ßt, und die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0443] Zweite Abtheilung. Tableaus und Seltſamkeiten die Menge und die anmaßlichen Kenner blendet. Ich habe bis jetzt in Deutſchland nur drei Tragoͤdienſpieler im gro- ßen Styl geſehn, vor allen den unvergeßlichen Fleck, den unnachahmlichen Schroͤder, und den treflichen Lange in Wien. Sie waren in jener Schule erzogen, die ſich durch die Begeiſterung an Shakſpear, an der Liebe zum Großen, Star- ken und Furchtbaren bildete; der eine iſt der Kunſt zu fruͤh geſtorben, der andre hat ſich ganz und der letzte zum Theil dem Theater entzogen. Wir hoͤren nun allenthalben die anmaßlichen Kri- tiker von verungluͤckten Schauſpielern ſprechen, von wuͤthenden Schreiern, und nur jene Fein- heit, Schwaͤchlichkeit und Kleinlichkeit als tra- giſches Spiel preiſen, welches nur etwas weni- ger gebrechlich, laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Was ſoll man aber noch ſagen, da Iffland ja ſelbſt im Monodram als Pygmalion aufgetreten iſt? Dieſe poetiſche Thorheit war gewiß das Widernatuͤr- lichſte, was er je dargeſtellt hat. Sie erſcheinen, ſagte Emilie, in dieſer aus- gefuͤhrten Meinung, ziemlich paradox, denn ge- rade was dieſe letzte Darſtellung betrift, erinnre ich mich der Worte eines verehrten Autors, daß dieſer Pygmalion ihm eine Anſchauung des al- ten Kothurns gegeben habe. Theure Freundin, ſagte Ernſt laͤchelnd, es giebt tauſend Dinge auf Erden, von denen ſich unſre Philoſophie nichts traͤumen laͤßt, und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/443
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/443>, abgerufen am 19.05.2024.