Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
bisch verbietet, ihnen aber gern Raum gewährt,
wenn sie nur mit jenen aufgeklärten Stücken
eine wandernde Sittenschule für das Volk seyn
wollen.

Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernst fort,
sind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Ist
uns nicht überhaupt ein neuer Collier, nur mit
mehr Kritik und Geschmack nöthig? Denn nicht
bloß dem gemeinen Volke, was sollen der Na-
tion überhaupt jene Schauspiele und Gesinnun-
gen, die alles untergraben, was den Menschen
hält und trägt? Seltner sind jetzt die Invecti-
ven gegen den geistlichen Stand, auch die gegen
die Fürsten nehmen ab, aber das meiste, was
wir spielen sehn, kündigt doch der Sitte, dem
Menschlichen, dem Rechten überhaupt den Krieg
an, und zwar von verschrobenen Gemüthern, die
eben für das Höchste zu eifern wähnen. Die
Laufbahn des Lieblingsdichters ist nur so bezeich-
net: Menschenhaß, die Indianer, Bruder Mo-
ritz (dessen krasse Aufklärerei jetzt vergessen ist),
die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel-
che seiner Schauspiele nicht, die irgend Wirkung
haben und Talente verrathen, welches man ihm
wohl nicht absprechen kann. Auf der andern
Seite die kleinlichen Familiengemälde. In allen
diesen Produkten, die sich bestreben, an und für
sich selbst zu wirken, die den Haufen rühren und
erschüttern, sie mögen dargestellt werden, wie sie
wollen, ja die sich von selbst gut spielen, weil

das

Zweite Abtheilung.
biſch verbietet, ihnen aber gern Raum gewaͤhrt,
wenn ſie nur mit jenen aufgeklaͤrten Stuͤcken
eine wandernde Sittenſchule fuͤr das Volk ſeyn
wollen.

Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernſt fort,
ſind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Iſt
uns nicht uͤberhaupt ein neuer Collier, nur mit
mehr Kritik und Geſchmack noͤthig? Denn nicht
bloß dem gemeinen Volke, was ſollen der Na-
tion uͤberhaupt jene Schauſpiele und Geſinnun-
gen, die alles untergraben, was den Menſchen
haͤlt und traͤgt? Seltner ſind jetzt die Invecti-
ven gegen den geiſtlichen Stand, auch die gegen
die Fuͤrſten nehmen ab, aber das meiſte, was
wir ſpielen ſehn, kuͤndigt doch der Sitte, dem
Menſchlichen, dem Rechten uͤberhaupt den Krieg
an, und zwar von verſchrobenen Gemuͤthern, die
eben fuͤr das Hoͤchſte zu eifern waͤhnen. Die
Laufbahn des Lieblingsdichters iſt nur ſo bezeich-
net: Menſchenhaß, die Indianer, Bruder Mo-
ritz (deſſen kraſſe Aufklaͤrerei jetzt vergeſſen iſt),
die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel-
che ſeiner Schauſpiele nicht, die irgend Wirkung
haben und Talente verrathen, welches man ihm
wohl nicht abſprechen kann. Auf der andern
Seite die kleinlichen Familiengemaͤlde. In allen
dieſen Produkten, die ſich beſtreben, an und fuͤr
ſich ſelbſt zu wirken, die den Haufen ruͤhren und
erſchuͤttern, ſie moͤgen dargeſtellt werden, wie ſie
wollen, ja die ſich von ſelbſt gut ſpielen, weil

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0425" n="416"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
bi&#x017F;ch verbietet, ihnen aber gern Raum gewa&#x0364;hrt,<lb/>
wenn &#x017F;ie nur mit jenen aufgekla&#x0364;rten Stu&#x0364;cken<lb/>
eine wandernde Sitten&#x017F;chule fu&#x0364;r das Volk &#x017F;eyn<lb/>
wollen.</p><lb/>
            <p>Die Klagen des Gozzi, fuhr Ern&#x017F;t fort,<lb/>
&#x017F;ind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. I&#x017F;t<lb/>
uns nicht u&#x0364;berhaupt ein neuer Collier, nur mit<lb/>
mehr Kritik und Ge&#x017F;chmack no&#x0364;thig? Denn nicht<lb/>
bloß dem gemeinen Volke, was &#x017F;ollen der Na-<lb/>
tion u&#x0364;berhaupt jene Schau&#x017F;piele und Ge&#x017F;innun-<lb/>
gen, die alles untergraben, was den Men&#x017F;chen<lb/>
ha&#x0364;lt und tra&#x0364;gt? Seltner &#x017F;ind jetzt die Invecti-<lb/>
ven gegen den gei&#x017F;tlichen Stand, auch die gegen<lb/>
die Fu&#x0364;r&#x017F;ten nehmen ab, aber das mei&#x017F;te, was<lb/>
wir &#x017F;pielen &#x017F;ehn, ku&#x0364;ndigt doch der Sitte, dem<lb/>
Men&#x017F;chlichen, dem Rechten u&#x0364;berhaupt den Krieg<lb/>
an, und zwar von ver&#x017F;chrobenen Gemu&#x0364;thern, die<lb/>
eben fu&#x0364;r das Ho&#x0364;ch&#x017F;te zu eifern wa&#x0364;hnen. Die<lb/>
Laufbahn des Lieblingsdichters i&#x017F;t nur &#x017F;o bezeich-<lb/>
net: Men&#x017F;chenhaß, die Indianer, Bruder Mo-<lb/>
ritz (de&#x017F;&#x017F;en kra&#x017F;&#x017F;e Aufkla&#x0364;rerei jetzt verge&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t),<lb/>
die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel-<lb/>
che &#x017F;einer Schau&#x017F;piele nicht, die irgend Wirkung<lb/>
haben und Talente verrathen, welches man ihm<lb/>
wohl nicht ab&#x017F;prechen kann. Auf der andern<lb/>
Seite die kleinlichen Familiengema&#x0364;lde. In allen<lb/>
die&#x017F;en Produkten, die &#x017F;ich be&#x017F;treben, an und fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu wirken, die den Haufen ru&#x0364;hren und<lb/>
er&#x017F;chu&#x0364;ttern, &#x017F;ie mo&#x0364;gen darge&#x017F;tellt werden, wie &#x017F;ie<lb/>
wollen, ja die &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t gut &#x017F;pielen, weil<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0425] Zweite Abtheilung. biſch verbietet, ihnen aber gern Raum gewaͤhrt, wenn ſie nur mit jenen aufgeklaͤrten Stuͤcken eine wandernde Sittenſchule fuͤr das Volk ſeyn wollen. Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernſt fort, ſind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Iſt uns nicht uͤberhaupt ein neuer Collier, nur mit mehr Kritik und Geſchmack noͤthig? Denn nicht bloß dem gemeinen Volke, was ſollen der Na- tion uͤberhaupt jene Schauſpiele und Geſinnun- gen, die alles untergraben, was den Menſchen haͤlt und traͤgt? Seltner ſind jetzt die Invecti- ven gegen den geiſtlichen Stand, auch die gegen die Fuͤrſten nehmen ab, aber das meiſte, was wir ſpielen ſehn, kuͤndigt doch der Sitte, dem Menſchlichen, dem Rechten uͤberhaupt den Krieg an, und zwar von verſchrobenen Gemuͤthern, die eben fuͤr das Hoͤchſte zu eifern waͤhnen. Die Laufbahn des Lieblingsdichters iſt nur ſo bezeich- net: Menſchenhaß, die Indianer, Bruder Mo- ritz (deſſen kraſſe Aufklaͤrerei jetzt vergeſſen iſt), die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel- che ſeiner Schauſpiele nicht, die irgend Wirkung haben und Talente verrathen, welches man ihm wohl nicht abſprechen kann. Auf der andern Seite die kleinlichen Familiengemaͤlde. In allen dieſen Produkten, die ſich beſtreben, an und fuͤr ſich ſelbſt zu wirken, die den Haufen ruͤhren und erſchuͤttern, ſie moͤgen dargeſtellt werden, wie ſie wollen, ja die ſich von ſelbſt gut ſpielen, weil das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/425
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/425>, abgerufen am 22.11.2024.