Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. nicht hören will, muß fühlen. Er war seinenEltern, die ihn hatten studiren lassen wollen, wegen wilder Streiche entlaufen, hatte in Noth und Kummer sich selber gering schätzen lernen, und sich endlich, da er sich nicht zurück getraute, zum Schauspieler aufnehmen lassen. Indem kam mit naserümpfendem Wesen eine gelbe weibliche Figur im elendesten und zugleich abgeschmacktesten Anzuge zu uns; setzen Sie sich nieder, mein Herr, sagte sie mit freundlicher Würde, an welcher ich sogleich die Prima Donna erkannte, Sie scheinen doch nicht hier aus diesem Nest, und darum ist es mir ein Trost, mit einem ge- bildeten Manne zu konversiren. Verachten Sie mich nicht, daß Sie mich hier in so schlechter Gesellschaft antreffen, ein ungeheures Schicksal hat mich ergriffen und so tief erniedrigt, denn mein Talent, mein Ruf, meine Bildung konnten mir wohl eine ganz andre Situation versprechen. Fassen Sie den Greuel! der Halunk von Direk- teur verschrieb mich zu den Kunstdarstellungen der Agnes Bernauer, der Eulalia Meinau, Or- fina und Königin im Don Carlos, und wie ich ankomme, kann der Lump kein einziges dieser Meisterwerke geben, und ich muß in seinen Hans- wurst - Stücken aus dem Stegereife spielen. Eine dicke männliche Figur trat auch herzu Zweite Abtheilung. nicht hoͤren will, muß fuͤhlen. Er war ſeinenEltern, die ihn hatten ſtudiren laſſen wollen, wegen wilder Streiche entlaufen, hatte in Noth und Kummer ſich ſelber gering ſchaͤtzen lernen, und ſich endlich, da er ſich nicht zuruͤck getraute, zum Schauſpieler aufnehmen laſſen. Indem kam mit naſeruͤmpfendem Weſen eine gelbe weibliche Figur im elendeſten und zugleich abgeſchmackteſten Anzuge zu uns; ſetzen Sie ſich nieder, mein Herr, ſagte ſie mit freundlicher Wuͤrde, an welcher ich ſogleich die Prima Donna erkannte, Sie ſcheinen doch nicht hier aus dieſem Neſt, und darum iſt es mir ein Troſt, mit einem ge- bildeten Manne zu konverſiren. Verachten Sie mich nicht, daß Sie mich hier in ſo ſchlechter Geſellſchaft antreffen, ein ungeheures Schickſal hat mich ergriffen und ſo tief erniedrigt, denn mein Talent, mein Ruf, meine Bildung konnten mir wohl eine ganz andre Situation verſprechen. Faſſen Sie den Greuel! der Halunk von Direk- teur verſchrieb mich zu den Kunſtdarſtellungen der Agnes Bernauer, der Eulalia Meinau, Or- fina und Koͤnigin im Don Carlos, und wie ich ankomme, kann der Lump kein einziges dieſer Meiſterwerke geben, und ich muß in ſeinen Hans- wurſt - Stuͤcken aus dem Stegereife ſpielen. Eine dicke maͤnnliche Figur trat auch herzu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0422" n="413"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> nicht hoͤren will, muß fuͤhlen. Er war ſeinen<lb/> Eltern, die ihn hatten ſtudiren laſſen wollen,<lb/> wegen wilder Streiche entlaufen, hatte in Noth<lb/> und Kummer ſich ſelber gering ſchaͤtzen lernen,<lb/> und ſich endlich, da er ſich nicht zuruͤck getraute,<lb/> zum Schauſpieler aufnehmen laſſen. Indem kam<lb/> mit naſeruͤmpfendem Weſen eine gelbe weibliche<lb/> Figur im elendeſten und zugleich abgeſchmackteſten<lb/> Anzuge zu uns; ſetzen Sie ſich nieder, mein<lb/> Herr, ſagte ſie mit freundlicher Wuͤrde, an<lb/> welcher ich ſogleich die Prima Donna erkannte,<lb/> Sie ſcheinen doch nicht hier aus dieſem Neſt,<lb/> und darum iſt es mir ein Troſt, mit einem ge-<lb/> bildeten Manne zu konverſiren. Verachten Sie<lb/> mich nicht, daß Sie mich hier in ſo ſchlechter<lb/> Geſellſchaft antreffen, ein ungeheures Schickſal<lb/> hat mich ergriffen und ſo tief erniedrigt, denn<lb/> mein Talent, mein Ruf, meine Bildung konnten<lb/> mir wohl eine ganz andre Situation verſprechen.<lb/> Faſſen Sie den Greuel! der Halunk von Direk-<lb/> teur verſchrieb mich zu den Kunſtdarſtellungen<lb/> der Agnes Bernauer, der Eulalia Meinau, Or-<lb/> fina und Koͤnigin im Don Carlos, und wie ich<lb/> ankomme, kann der Lump kein einziges dieſer<lb/> Meiſterwerke geben, und ich muß in ſeinen Hans-<lb/> wurſt - Stuͤcken aus dem Stegereife ſpielen.</p><lb/> <p>Eine dicke maͤnnliche Figur trat auch herzu<lb/> und wollte im Großthun nicht zuruͤck bleiben,<lb/> mit anmaßlicher Demuth rief er aus: ja, mein<lb/> Herr, wir Kuͤnſtler ſind recht uͤbel dran, ſollten<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0422]
Zweite Abtheilung.
nicht hoͤren will, muß fuͤhlen. Er war ſeinen
Eltern, die ihn hatten ſtudiren laſſen wollen,
wegen wilder Streiche entlaufen, hatte in Noth
und Kummer ſich ſelber gering ſchaͤtzen lernen,
und ſich endlich, da er ſich nicht zuruͤck getraute,
zum Schauſpieler aufnehmen laſſen. Indem kam
mit naſeruͤmpfendem Weſen eine gelbe weibliche
Figur im elendeſten und zugleich abgeſchmackteſten
Anzuge zu uns; ſetzen Sie ſich nieder, mein
Herr, ſagte ſie mit freundlicher Wuͤrde, an
welcher ich ſogleich die Prima Donna erkannte,
Sie ſcheinen doch nicht hier aus dieſem Neſt,
und darum iſt es mir ein Troſt, mit einem ge-
bildeten Manne zu konverſiren. Verachten Sie
mich nicht, daß Sie mich hier in ſo ſchlechter
Geſellſchaft antreffen, ein ungeheures Schickſal
hat mich ergriffen und ſo tief erniedrigt, denn
mein Talent, mein Ruf, meine Bildung konnten
mir wohl eine ganz andre Situation verſprechen.
Faſſen Sie den Greuel! der Halunk von Direk-
teur verſchrieb mich zu den Kunſtdarſtellungen
der Agnes Bernauer, der Eulalia Meinau, Or-
fina und Koͤnigin im Don Carlos, und wie ich
ankomme, kann der Lump kein einziges dieſer
Meiſterwerke geben, und ich muß in ſeinen Hans-
wurſt - Stuͤcken aus dem Stegereife ſpielen.
Eine dicke maͤnnliche Figur trat auch herzu
und wollte im Großthun nicht zuruͤck bleiben,
mit anmaßlicher Demuth rief er aus: ja, mein
Herr, wir Kuͤnſtler ſind recht uͤbel dran, ſollten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |