und wenn es nur rechten unverschämten Lärmen macht, so sind unwissende Bürger- und Acker- leute kleiner Städte oft zufrieden genug.
Als Clara lachte, sagte Ernst: glauben Sie mir, theure Freundin, diese Darstellung giebt noch lange nicht den traurigsten Anblick der deut- schen Theater-Welt. Mit einer zahlreichen Ge- sellschaft fuhr ich einmal auf der Elbe von Aus- sig nach Dresden. Nicht weit von der böhmi- schen Gränze liegt Tetschen, eine kleine Stadt und Schloß, äußerst lieblich. Wir stiegen aus, um hier Mittag zu machen, und fanden zu un- serm Erstaunen in der Wirthsstube hinten ein Theater aufgeschlagen, und hochgelbe Zettel ver- kündigten der Stadt, daß am Abend die Zau- berflöte sollte aufgeführt werden. Das Theater war kaum zehn Fuß breit und nur viere tief; von Dekoration war gar nicht die Rede, wenn man nicht ungefärbte graue Leinwand und wei- ßes Papier so nennen will; in den beiden Win- keln der Bühne standen zwei Garnwinden, um die eine ein gelber, um die andre ein weißer Streifen geschlungen, sie bedeuteten das unent- behrliche Feuer und Wasser. Das Theater war von der mäßigen Höhe, daß ein Erwachsener mit dem Kopf die Decke berührte, die abgehen- den Künstler mußten hinter der Scene einen Sprung, einige Fuß hoch, thun, um sich dort im engsten Raume bis zum neuen Erscheinen auf der Bühne und Hinaufklettern zu gedulden.
Zweite Abtheilung.
und wenn es nur rechten unverſchaͤmten Laͤrmen macht, ſo ſind unwiſſende Buͤrger- und Acker- leute kleiner Staͤdte oft zufrieden genug.
Als Clara lachte, ſagte Ernſt: glauben Sie mir, theure Freundin, dieſe Darſtellung giebt noch lange nicht den traurigſten Anblick der deut- ſchen Theater-Welt. Mit einer zahlreichen Ge- ſellſchaft fuhr ich einmal auf der Elbe von Auſ- ſig nach Dresden. Nicht weit von der boͤhmi- ſchen Graͤnze liegt Tetſchen, eine kleine Stadt und Schloß, aͤußerſt lieblich. Wir ſtiegen aus, um hier Mittag zu machen, und fanden zu un- ſerm Erſtaunen in der Wirthsſtube hinten ein Theater aufgeſchlagen, und hochgelbe Zettel ver- kuͤndigten der Stadt, daß am Abend die Zau- berfloͤte ſollte aufgefuͤhrt werden. Das Theater war kaum zehn Fuß breit und nur viere tief; von Dekoration war gar nicht die Rede, wenn man nicht ungefaͤrbte graue Leinwand und wei- ßes Papier ſo nennen will; in den beiden Win- keln der Buͤhne ſtanden zwei Garnwinden, um die eine ein gelber, um die andre ein weißer Streifen geſchlungen, ſie bedeuteten das unent- behrliche Feuer und Waſſer. Das Theater war von der maͤßigen Hoͤhe, daß ein Erwachſener mit dem Kopf die Decke beruͤhrte, die abgehen- den Kuͤnſtler mußten hinter der Scene einen Sprung, einige Fuß hoch, thun, um ſich dort im engſten Raume bis zum neuen Erſcheinen auf der Buͤhne und Hinaufklettern zu gedulden.
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Zweite Abtheilung.
und wenn es nur rechten unverſchaͤmten Laͤrmen
macht, ſo ſind unwiſſende Buͤrger- und Acker-
leute kleiner Staͤdte oft zufrieden genug.
Als Clara lachte, ſagte Ernſt: glauben Sie
mir, theure Freundin, dieſe Darſtellung giebt
noch lange nicht den traurigſten Anblick der deut-
ſchen Theater-Welt. Mit einer zahlreichen Ge-
ſellſchaft fuhr ich einmal auf der Elbe von Auſ-
ſig nach Dresden. Nicht weit von der boͤhmi-
ſchen Graͤnze liegt Tetſchen, eine kleine Stadt
und Schloß, aͤußerſt lieblich. Wir ſtiegen aus,
um hier Mittag zu machen, und fanden zu un-
ſerm Erſtaunen in der Wirthsſtube hinten ein
Theater aufgeſchlagen, und hochgelbe Zettel ver-
kuͤndigten der Stadt, daß am Abend die Zau-
berfloͤte ſollte aufgefuͤhrt werden. Das Theater
war kaum zehn Fuß breit und nur viere tief;
von Dekoration war gar nicht die Rede, wenn
man nicht ungefaͤrbte graue Leinwand und wei-
ßes Papier ſo nennen will; in den beiden Win-
keln der Buͤhne ſtanden zwei Garnwinden, um
die eine ein gelber, um die andre ein weißer
Streifen geſchlungen, ſie bedeuteten das unent-
behrliche Feuer und Waſſer. Das Theater war
von der maͤßigen Hoͤhe, daß ein Erwachſener
mit dem Kopf die Decke beruͤhrte, die abgehen-
den Kuͤnſtler mußten hinter der Scene einen
Sprung, einige Fuß hoch, thun, um ſich dort
im engſten Raume bis zum neuen Erſcheinen
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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