Begriff von der Kunst und ihrer Würde, und daß der Schauspieler ohne Zweifel sich selbst zuerst veredeln muß, ehe er kapable ist, edle Menschen vorzustellen -- mit Erlaubniß! -- in die- sem Augenblick nahm er ein Fläschchen aus der Tasche und trank. Ich muß die Ehre haben, Ihnen zu sagen, fuhr er fort, daß ich nach je- nem Reste gar nicht einmal hintrachte, denn nirgend in der Welt herrscht wohl ein solcher verdorbener Geschmack, ein solcher Eigendünkel, als bei jenem reichen Handelsvolke. Sie verach- ten den Künstler und seine Bemühung. Warum sollt ich mich also sobald von diesen lieben gu- ten Leuten hier trennen, die so herzlich und theilnehmend scheinen? Des Künstlers Vaterland ist allenthalben. Er entfernte sich hierauf, um nach seinem Theatermaler zu sehn.
Glauben Sie dem Windbeutel doch ja kein Wort, sagte ein junger Mensch, der zu mir trat, und in dem ich den ersten Liebhaber erkannte, er thut den Mund nicht auf, ohne zu lügen. So eben läßt er von einem Tischlergesellen gelbe Farbe auf ein Stückchen Papier streichen, das nachher geöhlt werden soll, und dieses Kunst- werk wird morgen Abend als Feuer in der Zau- berflöte figuriren. -- Wie können Sie denn diese Oper besetzen? fragt ich. Der junge Mensch zuckte mit den Schultern und lächelte; man läßt aus, man wirft Rollen zusammen, man schreit und singt was man kann und nicht kann,
Zweite Abtheilung.
Begriff von der Kunſt und ihrer Wuͤrde, und daß der Schauſpieler ohne Zweifel ſich ſelbſt zuerſt veredeln muß, ehe er kapable iſt, edle Menſchen vorzuſtellen — mit Erlaubniß! — in die- ſem Augenblick nahm er ein Flaͤſchchen aus der Taſche und trank. Ich muß die Ehre haben, Ihnen zu ſagen, fuhr er fort, daß ich nach je- nem Reſte gar nicht einmal hintrachte, denn nirgend in der Welt herrſcht wohl ein ſolcher verdorbener Geſchmack, ein ſolcher Eigenduͤnkel, als bei jenem reichen Handelsvolke. Sie verach- ten den Kuͤnſtler und ſeine Bemuͤhung. Warum ſollt ich mich alſo ſobald von dieſen lieben gu- ten Leuten hier trennen, die ſo herzlich und theilnehmend ſcheinen? Des Kuͤnſtlers Vaterland iſt allenthalben. Er entfernte ſich hierauf, um nach ſeinem Theatermaler zu ſehn.
Glauben Sie dem Windbeutel doch ja kein Wort, ſagte ein junger Menſch, der zu mir trat, und in dem ich den erſten Liebhaber erkannte, er thut den Mund nicht auf, ohne zu luͤgen. So eben laͤßt er von einem Tiſchlergeſellen gelbe Farbe auf ein Stuͤckchen Papier ſtreichen, das nachher geoͤhlt werden ſoll, und dieſes Kunſt- werk wird morgen Abend als Feuer in der Zau- berfloͤte figuriren. — Wie koͤnnen Sie denn dieſe Oper beſetzen? fragt ich. Der junge Menſch zuckte mit den Schultern und laͤchelte; man laͤßt aus, man wirft Rollen zuſammen, man ſchreit und ſingt was man kann und nicht kann,
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Zweite Abtheilung.
Begriff von der Kunſt und ihrer Wuͤrde, und
daß der Schauſpieler ohne Zweifel ſich ſelbſt
zuerſt veredeln muß, ehe er kapable iſt, edle
Menſchen vorzuſtellen — mit Erlaubniß! — in die-
ſem Augenblick nahm er ein Flaͤſchchen aus der
Taſche und trank. Ich muß die Ehre haben,
Ihnen zu ſagen, fuhr er fort, daß ich nach je-
nem Reſte gar nicht einmal hintrachte, denn
nirgend in der Welt herrſcht wohl ein ſolcher
verdorbener Geſchmack, ein ſolcher Eigenduͤnkel,
als bei jenem reichen Handelsvolke. Sie verach-
ten den Kuͤnſtler und ſeine Bemuͤhung. Warum
ſollt ich mich alſo ſobald von dieſen lieben gu-
ten Leuten hier trennen, die ſo herzlich und
theilnehmend ſcheinen? Des Kuͤnſtlers Vaterland
iſt allenthalben. Er entfernte ſich hierauf, um
nach ſeinem Theatermaler zu ſehn.
Glauben Sie dem Windbeutel doch ja kein
Wort, ſagte ein junger Menſch, der zu mir trat,
und in dem ich den erſten Liebhaber erkannte,
er thut den Mund nicht auf, ohne zu luͤgen.
So eben laͤßt er von einem Tiſchlergeſellen gelbe
Farbe auf ein Stuͤckchen Papier ſtreichen, das
nachher geoͤhlt werden ſoll, und dieſes Kunſt-
werk wird morgen Abend als Feuer in der Zau-
berfloͤte figuriren. — Wie koͤnnen Sie denn dieſe
Oper beſetzen? fragt ich. Der junge Menſch
zuckte mit den Schultern und laͤchelte; man
laͤßt aus, man wirft Rollen zuſammen, man
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/419>, abgerufen am 19.05.2024.
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