Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. vollendet, als ich zu der Gesellschaft in denSaal des Gasthofes trat. Es entging mir nicht, daß alle Anwesenden über mein Abentheuer spra- chen; meine Augen fielen sogleich auf eine schöne Frau, die mir in der Stadt gegenüber wohnte und die ich sonst nur allzugerne sah, die mich aber heut so in Verlegenheit setzte, daß ich sie nicht zu grüßen wagte; ihr Mann mischte sich in den Diskurs, und sagte auf Englisch, in der Meinung, daß ich es nicht verstehn würde: die- ser gute Mensch will gern etwas seltsames thun, und hat wenigstens sein Theater gut gewählt, um hinlänglich bemerkt zu werden. Sie war gütig genug, nichts zu antworten, oder viel- leicht verrieth ihr meine schnelle Röthe, daß ich ihren Mann verstanden hatte. Ohne meinen Wein zu trinken setzte ich mich zu Pferde und war so beschämt und verlegen, daß ich in meine gewöhnliche Zerstreuung verfiel, die mich völlig von der großen Landstraße abführte, durch Wäl- der und einsame Gegenden, die ich nachher nie- mals habe wieder finden können, so daß ich erst lange nach Mitternacht in meine Wohnung ein- traf, die ich noch bequem vor Sonnen-Unter- gang hätte erreichen können. Sonst saß ich gern am Fenster, wenn die Schöne gegenüber aus dem ihrigen schaute: aber auf viele Tage hatte ich den Muth dazu verloren, ich vermied lange jede Gesellschaft, um nur nicht irgend ein Wort über die gescheiterte Aufführung des Waltron zu Zweite Abtheilung. vollendet, als ich zu der Geſellſchaft in denSaal des Gaſthofes trat. Es entging mir nicht, daß alle Anweſenden uͤber mein Abentheuer ſpra- chen; meine Augen fielen ſogleich auf eine ſchoͤne Frau, die mir in der Stadt gegenuͤber wohnte und die ich ſonſt nur allzugerne ſah, die mich aber heut ſo in Verlegenheit ſetzte, daß ich ſie nicht zu gruͤßen wagte; ihr Mann miſchte ſich in den Diskurs, und ſagte auf Engliſch, in der Meinung, daß ich es nicht verſtehn wuͤrde: die- ſer gute Menſch will gern etwas ſeltſames thun, und hat wenigſtens ſein Theater gut gewaͤhlt, um hinlaͤnglich bemerkt zu werden. Sie war guͤtig genug, nichts zu antworten, oder viel- leicht verrieth ihr meine ſchnelle Roͤthe, daß ich ihren Mann verſtanden hatte. Ohne meinen Wein zu trinken ſetzte ich mich zu Pferde und war ſo beſchaͤmt und verlegen, daß ich in meine gewoͤhnliche Zerſtreuung verfiel, die mich voͤllig von der großen Landſtraße abfuͤhrte, durch Waͤl- der und einſame Gegenden, die ich nachher nie- mals habe wieder finden koͤnnen, ſo daß ich erſt lange nach Mitternacht in meine Wohnung ein- traf, die ich noch bequem vor Sonnen-Unter- gang haͤtte erreichen koͤnnen. Sonſt ſaß ich gern am Fenſter, wenn die Schoͤne gegenuͤber aus dem ihrigen ſchaute: aber auf viele Tage hatte ich den Muth dazu verloren, ich vermied lange jede Geſellſchaft, um nur nicht irgend ein Wort uͤber die geſcheiterte Auffuͤhrung des Waltron zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0411" n="402"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> vollendet, als ich zu der Geſellſchaft in den<lb/> Saal des Gaſthofes trat. Es entging mir nicht,<lb/> daß alle Anweſenden uͤber mein Abentheuer ſpra-<lb/> chen; meine Augen fielen ſogleich auf eine ſchoͤne<lb/> Frau, die mir in der Stadt gegenuͤber wohnte<lb/> und die ich ſonſt nur allzugerne ſah, die mich<lb/> aber heut ſo in Verlegenheit ſetzte, daß ich ſie<lb/> nicht zu gruͤßen wagte; ihr Mann miſchte ſich<lb/> in den Diskurs, und ſagte auf Engliſch, in der<lb/> Meinung, daß ich es nicht verſtehn wuͤrde: die-<lb/> ſer gute Menſch will gern etwas ſeltſames thun,<lb/> und hat wenigſtens ſein Theater gut gewaͤhlt,<lb/> um hinlaͤnglich bemerkt zu werden. Sie war<lb/> guͤtig genug, nichts zu antworten, oder viel-<lb/> leicht verrieth ihr meine ſchnelle Roͤthe, daß ich<lb/> ihren Mann verſtanden hatte. Ohne meinen<lb/> Wein zu trinken ſetzte ich mich zu Pferde und<lb/> war ſo beſchaͤmt und verlegen, daß ich in meine<lb/> gewoͤhnliche Zerſtreuung verfiel, die mich voͤllig<lb/> von der großen Landſtraße abfuͤhrte, durch Waͤl-<lb/> der und einſame Gegenden, die ich nachher nie-<lb/> mals habe wieder finden koͤnnen, ſo daß ich erſt<lb/> lange nach Mitternacht in meine Wohnung ein-<lb/> traf, die ich noch bequem vor Sonnen-Unter-<lb/> gang haͤtte erreichen koͤnnen. Sonſt ſaß ich gern<lb/> am Fenſter, wenn die Schoͤne gegenuͤber aus<lb/> dem ihrigen ſchaute: aber auf viele Tage hatte<lb/> ich den Muth dazu verloren, ich vermied lange<lb/> jede Geſellſchaft, um nur nicht irgend ein Wort<lb/> uͤber die geſcheiterte Auffuͤhrung des Waltron zu<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [402/0411]
Zweite Abtheilung.
vollendet, als ich zu der Geſellſchaft in den
Saal des Gaſthofes trat. Es entging mir nicht,
daß alle Anweſenden uͤber mein Abentheuer ſpra-
chen; meine Augen fielen ſogleich auf eine ſchoͤne
Frau, die mir in der Stadt gegenuͤber wohnte
und die ich ſonſt nur allzugerne ſah, die mich
aber heut ſo in Verlegenheit ſetzte, daß ich ſie
nicht zu gruͤßen wagte; ihr Mann miſchte ſich
in den Diskurs, und ſagte auf Engliſch, in der
Meinung, daß ich es nicht verſtehn wuͤrde: die-
ſer gute Menſch will gern etwas ſeltſames thun,
und hat wenigſtens ſein Theater gut gewaͤhlt,
um hinlaͤnglich bemerkt zu werden. Sie war
guͤtig genug, nichts zu antworten, oder viel-
leicht verrieth ihr meine ſchnelle Roͤthe, daß ich
ihren Mann verſtanden hatte. Ohne meinen
Wein zu trinken ſetzte ich mich zu Pferde und
war ſo beſchaͤmt und verlegen, daß ich in meine
gewoͤhnliche Zerſtreuung verfiel, die mich voͤllig
von der großen Landſtraße abfuͤhrte, durch Waͤl-
der und einſame Gegenden, die ich nachher nie-
mals habe wieder finden koͤnnen, ſo daß ich erſt
lange nach Mitternacht in meine Wohnung ein-
traf, die ich noch bequem vor Sonnen-Unter-
gang haͤtte erreichen koͤnnen. Sonſt ſaß ich gern
am Fenſter, wenn die Schoͤne gegenuͤber aus
dem ihrigen ſchaute: aber auf viele Tage hatte
ich den Muth dazu verloren, ich vermied lange
jede Geſellſchaft, um nur nicht irgend ein Wort
uͤber die geſcheiterte Auffuͤhrung des Waltron zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |