vernehmen, ja es haben Jahre verfließen müssen, ehe ich diese lächerliche Geschichte auch nur mei- nen vertrautesten Freunden habe erzählen können.
Clara lachte herzlich und sagte: der Vor- fall hat etwas Tragisches, ich bitte Sie, uns noch einige Ihrer damaligen Zerstreutheiten mit- zutheilen, weil ich eine große Lust an dergleichen Dingen habe.
Ich stehe gern, antwortete Lothar, mit al- len meinen Lächerlichkeiten zu Ihrem Befehl, jetzt aber schwebt mir eine andre Erinnerung aus mei- nen Kinderjahren vor, die weder lächerlich, noch für mich beschämend ist, und von der ich doch versucht werde, sie Ihnen mitzutheilen, weil ich einmal in die Erzählung meiner theatralischen Liebhaberei gerathen bin. Das Schauspiel ge- währte mir schon in meinen frühsten Jahren einen so wunderbaren Genuß, daß meine Ent- zückungen nicht selten in eine Art von Wahn- sinn ausarteten. Ich hatte mir früh im Hause meiner Eltern eine gewisse Freiheit erobert, so daß ich schon im eilften und zwölften Jahre des Abends oft ziemlich spät allein nach Hause kam, wenn ich einen Schulfreund besucht, oder einen Spaziergang mit ihm gemacht hatte; haupt- sächlich aber war es das Theater, was mich oft vom Hause entfernte, in welchem Fall bald die- ser, bald jener meiner Bekannten, als wenn ich bei ihm die Zeit zugebracht, zur Entschuldigung dienen mußte. Nur reichte mein kleines Capi-
Zweite Abtheilung.
vernehmen, ja es haben Jahre verfließen muͤſſen, ehe ich dieſe laͤcherliche Geſchichte auch nur mei- nen vertrauteſten Freunden habe erzaͤhlen koͤnnen.
Clara lachte herzlich und ſagte: der Vor- fall hat etwas Tragiſches, ich bitte Sie, uns noch einige Ihrer damaligen Zerſtreutheiten mit- zutheilen, weil ich eine große Luſt an dergleichen Dingen habe.
Ich ſtehe gern, antwortete Lothar, mit al- len meinen Laͤcherlichkeiten zu Ihrem Befehl, jetzt aber ſchwebt mir eine andre Erinnerung aus mei- nen Kinderjahren vor, die weder laͤcherlich, noch fuͤr mich beſchaͤmend iſt, und von der ich doch verſucht werde, ſie Ihnen mitzutheilen, weil ich einmal in die Erzaͤhlung meiner theatraliſchen Liebhaberei gerathen bin. Das Schauſpiel ge- waͤhrte mir ſchon in meinen fruͤhſten Jahren einen ſo wunderbaren Genuß, daß meine Ent- zuͤckungen nicht ſelten in eine Art von Wahn- ſinn ausarteten. Ich hatte mir fruͤh im Hauſe meiner Eltern eine gewiſſe Freiheit erobert, ſo daß ich ſchon im eilften und zwoͤlften Jahre des Abends oft ziemlich ſpaͤt allein nach Hauſe kam, wenn ich einen Schulfreund beſucht, oder einen Spaziergang mit ihm gemacht hatte; haupt- ſaͤchlich aber war es das Theater, was mich oft vom Hauſe entfernte, in welchem Fall bald die- ſer, bald jener meiner Bekannten, als wenn ich bei ihm die Zeit zugebracht, zur Entſchuldigung dienen mußte. Nur reichte mein kleines Capi-
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Zweite Abtheilung.
vernehmen, ja es haben Jahre verfließen muͤſſen,
ehe ich dieſe laͤcherliche Geſchichte auch nur mei-
nen vertrauteſten Freunden habe erzaͤhlen koͤnnen.
Clara lachte herzlich und ſagte: der Vor-
fall hat etwas Tragiſches, ich bitte Sie, uns
noch einige Ihrer damaligen Zerſtreutheiten mit-
zutheilen, weil ich eine große Luſt an dergleichen
Dingen habe.
Ich ſtehe gern, antwortete Lothar, mit al-
len meinen Laͤcherlichkeiten zu Ihrem Befehl, jetzt
aber ſchwebt mir eine andre Erinnerung aus mei-
nen Kinderjahren vor, die weder laͤcherlich, noch
fuͤr mich beſchaͤmend iſt, und von der ich doch
verſucht werde, ſie Ihnen mitzutheilen, weil ich
einmal in die Erzaͤhlung meiner theatraliſchen
Liebhaberei gerathen bin. Das Schauſpiel ge-
waͤhrte mir ſchon in meinen fruͤhſten Jahren
einen ſo wunderbaren Genuß, daß meine Ent-
zuͤckungen nicht ſelten in eine Art von Wahn-
ſinn ausarteten. Ich hatte mir fruͤh im Hauſe
meiner Eltern eine gewiſſe Freiheit erobert, ſo
daß ich ſchon im eilften und zwoͤlften Jahre
des Abends oft ziemlich ſpaͤt allein nach Hauſe
kam, wenn ich einen Schulfreund beſucht, oder
einen Spaziergang mit ihm gemacht hatte; haupt-
ſaͤchlich aber war es das Theater, was mich oft
vom Hauſe entfernte, in welchem Fall bald die-
ſer, bald jener meiner Bekannten, als wenn ich
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dienen mußte. Nur reichte mein kleines Capi-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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