Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Der gestiefelte Kater.
mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein
Ausdruck der Lust. Ihrer Natur nach steigt die
Freude nach oben, öffnet den Mund weit und
spricht in den offensten Vokalen, am liebsten in
A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Schöp-
fung, an Kindern, Schaafen, Eseln, Stieren und
Betrunkenen wahrnehmen können; er aber, bei
seinen tyrannischen Eltern und Vormündern, wo
er nichts durfte laut werden lassen, mußte inner-
lich nur ein O und U brummen, und so angesehn
muß diese Erscheinung alles Wunderbare verlie-
ren, und ich glaube aus diesen Gründen nicht,
daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in sei-
nem Leibe besitze.
Hanswurst. Wenn es nun einmal dem
Herrn Leander verboten würde, laut zu philoso-
phiren, und seine tiefsinnigen Gedanken müßten
sich auch, statt oben, in der Tiefe aussprechen, welche
Sorte von Knarrwerk sich wohl in seinem Bauch
etabliren würde?
Leander. Der Narr, mein König, kann
vernünftige Gedanken nie begreifen; mich wundert
überhaupt, daß sich Ihro Majestät noch von sei-
nen geschmacklosen Einfällen belustigen lassen. Man
sollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih-
ren Geschmack nur in einen üblen Ruf.
König (wirft ihm das Zepter an den Kopf). Herr
Naseweis von Gelehrter! was untersteht er sich
denn? In ihn ist ja heut ein satanischer Rebel-
lionsgeist gefahren! Der Narr gefällt mir, mir,
seinem Könige, und wenn ich Geschmack an ihm
Der geſtiefelte Kater.
mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein
Ausdruck der Luſt. Ihrer Natur nach ſteigt die
Freude nach oben, oͤffnet den Mund weit und
ſpricht in den offenſten Vokalen, am liebſten in
A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Schoͤp-
fung, an Kindern, Schaafen, Eſeln, Stieren und
Betrunkenen wahrnehmen koͤnnen; er aber, bei
ſeinen tyranniſchen Eltern und Vormuͤndern, wo
er nichts durfte laut werden laſſen, mußte inner-
lich nur ein O und U brummen, und ſo angeſehn
muß dieſe Erſcheinung alles Wunderbare verlie-
ren, und ich glaube aus dieſen Gruͤnden nicht,
daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in ſei-
nem Leibe beſitze.
Hanswurſt. Wenn es nun einmal dem
Herrn Leander verboten wuͤrde, laut zu philoſo-
phiren, und ſeine tiefſinnigen Gedanken muͤßten
ſich auch, ſtatt oben, in der Tiefe ausſprechen, welche
Sorte von Knarrwerk ſich wohl in ſeinem Bauch
etabliren wuͤrde?
Leander. Der Narr, mein Koͤnig, kann
vernuͤnftige Gedanken nie begreifen; mich wundert
uͤberhaupt, daß ſich Ihro Majeſtaͤt noch von ſei-
nen geſchmackloſen Einfaͤllen beluſtigen laſſen. Man
ſollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih-
ren Geſchmack nur in einen uͤblen Ruf.
Koͤnig (wirft ihm das Zepter an den Kopf). Herr
Naſeweis von Gelehrter! was unterſteht er ſich
denn? In ihn iſt ja heut ein ſataniſcher Rebel-
lionsgeiſt gefahren! Der Narr gefaͤllt mir, mir,
ſeinem Koͤnige, und wenn ich Geſchmack an ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#LEANDER">
                <p><pb facs="#f0210" n="201"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der ge&#x017F;tiefelte Kater</hi>.</fw><lb/>
mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein<lb/>
Ausdruck der Lu&#x017F;t. Ihrer Natur nach &#x017F;teigt die<lb/>
Freude nach oben, o&#x0364;ffnet den Mund weit und<lb/>
&#x017F;pricht in den offen&#x017F;ten Vokalen, am lieb&#x017F;ten in<lb/>
A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Scho&#x0364;p-<lb/>
fung, an Kindern, Schaafen, E&#x017F;eln, Stieren und<lb/>
Betrunkenen wahrnehmen ko&#x0364;nnen; er aber, bei<lb/>
&#x017F;einen tyranni&#x017F;chen Eltern und Vormu&#x0364;ndern, wo<lb/>
er nichts durfte laut werden la&#x017F;&#x017F;en, mußte inner-<lb/>
lich nur ein O und U brummen, und &#x017F;o ange&#x017F;ehn<lb/>
muß die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung alles Wunderbare verlie-<lb/>
ren, und ich glaube aus die&#x017F;en Gru&#x0364;nden nicht,<lb/>
daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in &#x017F;ei-<lb/>
nem Leibe be&#x017F;itze.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#HANSWURST">
                <speaker><hi rendition="#g">Hanswur&#x017F;t</hi>.</speaker>
                <p>Wenn es nun einmal dem<lb/>
Herrn Leander verboten wu&#x0364;rde, laut zu philo&#x017F;o-<lb/>
phiren, und &#x017F;eine tief&#x017F;innigen Gedanken mu&#x0364;ßten<lb/>
&#x017F;ich auch, &#x017F;tatt oben, in der Tiefe aus&#x017F;prechen, welche<lb/>
Sorte von Knarrwerk &#x017F;ich wohl in &#x017F;einem Bauch<lb/>
etabliren wu&#x0364;rde?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#LEANDER">
                <speaker><hi rendition="#g">Leander</hi>.</speaker>
                <p>Der Narr, mein Ko&#x0364;nig, kann<lb/>
vernu&#x0364;nftige Gedanken nie begreifen; mich wundert<lb/>
u&#x0364;berhaupt, daß &#x017F;ich Ihro Maje&#x017F;ta&#x0364;t noch von &#x017F;ei-<lb/>
nen ge&#x017F;chmacklo&#x017F;en Einfa&#x0364;llen belu&#x017F;tigen la&#x017F;&#x017F;en. Man<lb/>
&#x017F;ollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih-<lb/>
ren Ge&#x017F;chmack nur in einen u&#x0364;blen Ruf.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#KOENIG">
                <speaker> <hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig</hi> </speaker>
                <stage>(wirft ihm das Zepter an den Kopf).</stage>
                <p>Herr<lb/>
Na&#x017F;eweis von Gelehrter! was unter&#x017F;teht er &#x017F;ich<lb/>
denn? In ihn i&#x017F;t ja heut ein &#x017F;atani&#x017F;cher Rebel-<lb/>
lionsgei&#x017F;t gefahren! Der Narr gefa&#x0364;llt mir, mir,<lb/>
&#x017F;einem Ko&#x0364;nige, und wenn ich Ge&#x017F;chmack an ihm<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0210] Der geſtiefelte Kater. mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein Ausdruck der Luſt. Ihrer Natur nach ſteigt die Freude nach oben, oͤffnet den Mund weit und ſpricht in den offenſten Vokalen, am liebſten in A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Schoͤp- fung, an Kindern, Schaafen, Eſeln, Stieren und Betrunkenen wahrnehmen koͤnnen; er aber, bei ſeinen tyranniſchen Eltern und Vormuͤndern, wo er nichts durfte laut werden laſſen, mußte inner- lich nur ein O und U brummen, und ſo angeſehn muß dieſe Erſcheinung alles Wunderbare verlie- ren, und ich glaube aus dieſen Gruͤnden nicht, daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in ſei- nem Leibe beſitze. Hanswurſt. Wenn es nun einmal dem Herrn Leander verboten wuͤrde, laut zu philoſo- phiren, und ſeine tiefſinnigen Gedanken muͤßten ſich auch, ſtatt oben, in der Tiefe ausſprechen, welche Sorte von Knarrwerk ſich wohl in ſeinem Bauch etabliren wuͤrde? Leander. Der Narr, mein Koͤnig, kann vernuͤnftige Gedanken nie begreifen; mich wundert uͤberhaupt, daß ſich Ihro Majeſtaͤt noch von ſei- nen geſchmackloſen Einfaͤllen beluſtigen laſſen. Man ſollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih- ren Geſchmack nur in einen uͤblen Ruf. Koͤnig (wirft ihm das Zepter an den Kopf). Herr Naſeweis von Gelehrter! was unterſteht er ſich denn? In ihn iſt ja heut ein ſataniſcher Rebel- lionsgeiſt gefahren! Der Narr gefaͤllt mir, mir, ſeinem Koͤnige, und wenn ich Geſchmack an ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/210
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/210>, abgerufen am 07.05.2024.