Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
es war mir, als wenn er sich bewegte -- es war
von dem Zugwinde, durch die offen gelassene Thür.
Im Gemach war ein drückender seltsamer Dunst. --
Um recht vorsichtig zu seyn, zog ich den Schlüssel
ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte
eine heimliche Furcht, daß die Thür hinter mir
zufallen könnte. -- Nun näherte ich mich dem
Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich
versichern, nicht mehr aus Neugier. Ich schlug
ihn mit der Hand zurück und sah immer noch
nichts, denn das Licht warf nur einen schwachen
ungewissen Schein hinein. -- Nun trat ich hinter
den Vorhang, -- und nun, Schwester! denke,
fühle mein Entsetzen, -- an den Wänden standen
sechs Knochengerippe umher, -- Blut färbte die
Wände, Blut bedeckte den Boden, -- ich hörte
einen lauten Aufschrei im Fenster klingen -- ich war
es gewiß, die so schrie; der Schlüssel fiel mir aus
der Hand, ich war betäubt, es klang, als wenn
das Schloß zusammen bräche, -- über den Gerip-
pen standen Zettel, mit dem Namen der Geschlach-
teten, seine sechs vorigen Weiber, und an welchem
Tage sie für ihre Neugier bestraft worden sind, --
oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe,
denn ich weiß nicht, wie ich zurück gekommen
bin. -- O mit welchen Bildern ist seitdem meine
Phantasie angefüllt! -- Ich hatte den Schlüssel
aufgenommen, er war in Blut gefallen, -- nun
war ich in der größten Angst, die Thür möchte
sich zugeschlossen haben. Ich stürzte gegen den
Vor-
Zweite Abtheilung.
es war mir, als wenn er ſich bewegte — es war
von dem Zugwinde, durch die offen gelaſſene Thuͤr.
Im Gemach war ein druͤckender ſeltſamer Dunſt. —
Um recht vorſichtig zu ſeyn, zog ich den Schluͤſſel
ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte
eine heimliche Furcht, daß die Thuͤr hinter mir
zufallen koͤnnte. — Nun naͤherte ich mich dem
Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich
verſichern, nicht mehr aus Neugier. Ich ſchlug
ihn mit der Hand zuruͤck und ſah immer noch
nichts, denn das Licht warf nur einen ſchwachen
ungewiſſen Schein hinein. — Nun trat ich hinter
den Vorhang, — und nun, Schweſter! denke,
fuͤhle mein Entſetzen, — an den Waͤnden ſtanden
ſechs Knochengerippe umher, — Blut faͤrbte die
Waͤnde, Blut bedeckte den Boden, — ich hoͤrte
einen lauten Aufſchrei im Fenſter klingen — ich war
es gewiß, die ſo ſchrie; der Schluͤſſel fiel mir aus
der Hand, ich war betaͤubt, es klang, als wenn
das Schloß zuſammen braͤche, — uͤber den Gerip-
pen ſtanden Zettel, mit dem Namen der Geſchlach-
teten, ſeine ſechs vorigen Weiber, und an welchem
Tage ſie fuͤr ihre Neugier beſtraft worden ſind, —
oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe,
denn ich weiß nicht, wie ich zuruͤck gekommen
bin. — O mit welchen Bildern iſt ſeitdem meine
Phantaſie angefuͤllt! — Ich hatte den Schluͤſſel
aufgenommen, er war in Blut gefallen, — nun
war ich in der groͤßten Angſt, die Thuͤr moͤchte
ſich zugeſchloſſen haben. Ich ſtuͤrzte gegen den
Vor-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#AGN">
                <p><pb facs="#f0121" n="112"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
es war mir, als wenn er &#x017F;ich bewegte &#x2014; es war<lb/>
von dem Zugwinde, durch die offen gela&#x017F;&#x017F;ene Thu&#x0364;r.<lb/>
Im Gemach war ein dru&#x0364;ckender &#x017F;elt&#x017F;amer Dun&#x017F;t. &#x2014;<lb/>
Um recht vor&#x017F;ichtig zu &#x017F;eyn, zog ich den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el<lb/>
ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte<lb/>
eine heimliche Furcht, daß die Thu&#x0364;r hinter mir<lb/>
zufallen ko&#x0364;nnte. &#x2014; Nun na&#x0364;herte ich mich dem<lb/>
Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich<lb/>
ver&#x017F;ichern, nicht mehr aus Neugier. Ich &#x017F;chlug<lb/>
ihn mit der Hand zuru&#x0364;ck und &#x017F;ah immer noch<lb/>
nichts, denn das Licht warf nur einen &#x017F;chwachen<lb/>
ungewi&#x017F;&#x017F;en Schein hinein. &#x2014; Nun trat ich hinter<lb/>
den Vorhang, &#x2014; und nun, Schwe&#x017F;ter! denke,<lb/>
fu&#x0364;hle mein Ent&#x017F;etzen, &#x2014; an den Wa&#x0364;nden &#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;echs Knochengerippe umher, &#x2014; Blut fa&#x0364;rbte die<lb/>
Wa&#x0364;nde, Blut bedeckte den Boden, &#x2014; ich ho&#x0364;rte<lb/>
einen lauten Auf&#x017F;chrei im Fen&#x017F;ter klingen &#x2014; ich war<lb/>
es gewiß, die &#x017F;o &#x017F;chrie; der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el fiel mir aus<lb/>
der Hand, ich war beta&#x0364;ubt, es klang, als wenn<lb/>
das Schloß zu&#x017F;ammen bra&#x0364;che, &#x2014; u&#x0364;ber den Gerip-<lb/>
pen &#x017F;tanden Zettel, mit dem Namen der Ge&#x017F;chlach-<lb/>
teten, &#x017F;eine &#x017F;echs vorigen Weiber, und an welchem<lb/>
Tage &#x017F;ie fu&#x0364;r ihre Neugier be&#x017F;traft worden &#x017F;ind, &#x2014;<lb/>
oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe,<lb/>
denn ich weiß nicht, wie ich zuru&#x0364;ck gekommen<lb/>
bin. &#x2014; O mit welchen Bildern i&#x017F;t &#x017F;eitdem meine<lb/>
Phanta&#x017F;ie angefu&#x0364;llt! &#x2014; Ich hatte den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el<lb/>
aufgenommen, er war in Blut gefallen, &#x2014; nun<lb/>
war ich in der gro&#x0364;ßten Ang&#x017F;t, die Thu&#x0364;r mo&#x0364;chte<lb/>
&#x017F;ich zuge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en haben. Ich &#x017F;tu&#x0364;rzte gegen den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Vor-</fw><lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0121] Zweite Abtheilung. es war mir, als wenn er ſich bewegte — es war von dem Zugwinde, durch die offen gelaſſene Thuͤr. Im Gemach war ein druͤckender ſeltſamer Dunſt. — Um recht vorſichtig zu ſeyn, zog ich den Schluͤſſel ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte eine heimliche Furcht, daß die Thuͤr hinter mir zufallen koͤnnte. — Nun naͤherte ich mich dem Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich verſichern, nicht mehr aus Neugier. Ich ſchlug ihn mit der Hand zuruͤck und ſah immer noch nichts, denn das Licht warf nur einen ſchwachen ungewiſſen Schein hinein. — Nun trat ich hinter den Vorhang, — und nun, Schweſter! denke, fuͤhle mein Entſetzen, — an den Waͤnden ſtanden ſechs Knochengerippe umher, — Blut faͤrbte die Waͤnde, Blut bedeckte den Boden, — ich hoͤrte einen lauten Aufſchrei im Fenſter klingen — ich war es gewiß, die ſo ſchrie; der Schluͤſſel fiel mir aus der Hand, ich war betaͤubt, es klang, als wenn das Schloß zuſammen braͤche, — uͤber den Gerip- pen ſtanden Zettel, mit dem Namen der Geſchlach- teten, ſeine ſechs vorigen Weiber, und an welchem Tage ſie fuͤr ihre Neugier beſtraft worden ſind, — oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe, denn ich weiß nicht, wie ich zuruͤck gekommen bin. — O mit welchen Bildern iſt ſeitdem meine Phantaſie angefuͤllt! — Ich hatte den Schluͤſſel aufgenommen, er war in Blut gefallen, — nun war ich in der groͤßten Angſt, die Thuͤr moͤchte ſich zugeſchloſſen haben. Ich ſtuͤrzte gegen den Vor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/121
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/121>, abgerufen am 07.05.2024.