Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Der Blaubart. ich dich auch nicht trösten kann, so kann ich dochwohl mit dir deine Leiden tragen. Agnes. Nun, so höre: -- aber du wirst auf mich schelten -- Anne. Nur, wenn du kein Zutrauen zu mir hast. Agnes. Du hättest es auch vielleicht ge- than. -- Du weißt, daß ich von Jugend auf gern etwas Neues sah und hörte, -- diese unsee- lige Sucht macht mich jetzt unglücklich, kostet mich gewiß mein Leben. Anne. Du erschreckst mich. Agnes. Ich habe es nicht unterlassen kön- nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn, das mir der Ritter zu sehn verboten hatte. Anne. Und? Agnes. O wär ich doch zurück geblieben! Warum ist der menschliche Geist so eingerichtet, daß ein solches Verbot nur seinen Vorwitz schärft? -- Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umstände erzäh- len soll, denn so oft ich nur daran denke, überläuf mich immer noch ein kalter Schauer. -- Ich schloß behutsam auf, und hatte ein Licht in der Hand, ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu sehn, und dann sogleich wieder umzukehren, -- als ich also die Thür aufmachte, sah ich nichts als ein leeres Gemach, im Hintergrunde einen grünen Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem Schlafzimmer. -- Ich konnte unmöglich wieder umkehren, der Vorhang sah so geheimnißvoll aus, Der Blaubart. ich dich auch nicht troͤſten kann, ſo kann ich dochwohl mit dir deine Leiden tragen. Agnes. Nun, ſo hoͤre: — aber du wirſt auf mich ſchelten — Anne. Nur, wenn du kein Zutrauen zu mir haſt. Agnes. Du haͤtteſt es auch vielleicht ge- than. — Du weißt, daß ich von Jugend auf gern etwas Neues ſah und hoͤrte, — dieſe unſee- lige Sucht macht mich jetzt ungluͤcklich, koſtet mich gewiß mein Leben. Anne. Du erſchreckſt mich. Agnes. Ich habe es nicht unterlaſſen koͤn- nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn, das mir der Ritter zu ſehn verboten hatte. Anne. Und? Agnes. O waͤr ich doch zuruͤck geblieben! Warum iſt der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet, daß ein ſolches Verbot nur ſeinen Vorwitz ſchaͤrft? — Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umſtaͤnde erzaͤh- len ſoll, denn ſo oft ich nur daran denke, uͤberlaͤuf mich immer noch ein kalter Schauer. — Ich ſchloß behutſam auf, und hatte ein Licht in der Hand, ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu ſehn, und dann ſogleich wieder umzukehren, — als ich alſo die Thuͤr aufmachte, ſah ich nichts als ein leeres Gemach, im Hintergrunde einen gruͤnen Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem Schlafzimmer. — Ich konnte unmoͤglich wieder umkehren, der Vorhang ſah ſo geheimnißvoll aus, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#ANN"> <p><pb facs="#f0120" n="111"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Blaubart</hi>.</fw><lb/> ich dich auch nicht troͤſten kann, ſo kann ich doch<lb/> wohl mit dir deine Leiden tragen.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Nun, ſo hoͤre: — aber du wirſt<lb/> auf mich ſchelten —</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Nur, wenn du kein Zutrauen zu<lb/> mir haſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Du haͤtteſt es auch vielleicht ge-<lb/> than. — Du weißt, daß ich von Jugend auf<lb/> gern etwas Neues ſah und hoͤrte, — dieſe unſee-<lb/> lige Sucht macht mich jetzt ungluͤcklich, koſtet mich<lb/> gewiß mein Leben.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Du erſchreckſt mich.</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>Ich habe es nicht unterlaſſen koͤn-<lb/> nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn,<lb/> das mir der Ritter zu ſehn verboten hatte.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Und?</p> </sp><lb/> <sp who="#AGN"> <speaker><hi rendition="#g">Agnes</hi>.</speaker> <p>O waͤr ich doch zuruͤck geblieben!<lb/> Warum iſt der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet, daß<lb/> ein ſolches Verbot nur ſeinen Vorwitz ſchaͤrft? —<lb/> Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umſtaͤnde erzaͤh-<lb/> len ſoll, denn ſo oft ich nur daran denke, uͤberlaͤuf<lb/> mich immer noch ein kalter Schauer. — Ich ſchloß<lb/> behutſam auf, und hatte ein Licht in der Hand,<lb/> ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu ſehn,<lb/> und dann ſogleich wieder umzukehren, — als ich<lb/> alſo die Thuͤr aufmachte, ſah ich nichts als ein<lb/> leeres Gemach, im Hintergrunde einen gruͤnen<lb/> Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem<lb/> Schlafzimmer. — Ich konnte unmoͤglich wieder<lb/> umkehren, der Vorhang ſah ſo geheimnißvoll aus,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0120]
Der Blaubart.
ich dich auch nicht troͤſten kann, ſo kann ich doch
wohl mit dir deine Leiden tragen.
Agnes. Nun, ſo hoͤre: — aber du wirſt
auf mich ſchelten —
Anne. Nur, wenn du kein Zutrauen zu
mir haſt.
Agnes. Du haͤtteſt es auch vielleicht ge-
than. — Du weißt, daß ich von Jugend auf
gern etwas Neues ſah und hoͤrte, — dieſe unſee-
lige Sucht macht mich jetzt ungluͤcklich, koſtet mich
gewiß mein Leben.
Anne. Du erſchreckſt mich.
Agnes. Ich habe es nicht unterlaſſen koͤn-
nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn,
das mir der Ritter zu ſehn verboten hatte.
Anne. Und?
Agnes. O waͤr ich doch zuruͤck geblieben!
Warum iſt der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet, daß
ein ſolches Verbot nur ſeinen Vorwitz ſchaͤrft? —
Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umſtaͤnde erzaͤh-
len ſoll, denn ſo oft ich nur daran denke, uͤberlaͤuf
mich immer noch ein kalter Schauer. — Ich ſchloß
behutſam auf, und hatte ein Licht in der Hand,
ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu ſehn,
und dann ſogleich wieder umzukehren, — als ich
alſo die Thuͤr aufmachte, ſah ich nichts als ein
leeres Gemach, im Hintergrunde einen gruͤnen
Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem
Schlafzimmer. — Ich konnte unmoͤglich wieder
umkehren, der Vorhang ſah ſo geheimnißvoll aus,
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