geister zu bekehren, weil von irgend einer Seite ihres Wesens sich gewiß die Glaubensfähigkeit erwecken läßt, die dann, einmal erregt, alle Em- pfindungen mit sich reißt, und die ehemaligen Ansichten und Gedanken zertrümmert. Eben so wenig aber steht der Fromme, der nicht mit al- len seinen Kräften schon die Regionen des Zwei- fels durchwandert hat, seine Seele müste dann etwa ganz Glaube und einfältiges Vertrauen sein, auf einem festen Grunde.
Vorzüglich, sagte Friedrich, sind es die Lei- denschaften, die so oft im Menschen das zerstö- ren, was vorher als sein eigenthümlichstes We- sen erscheinen konnte. Ich habe Wüstlinge ge- kannt, wahre Gottesläugner der Liebe und freche Verhöhner alles Heiligen, die lange mit der stol- zesten Ueberzeugung ihr verächtliches Leben führ- ten, und endlich, schon an der Gränze des Al- ters, von einer höhern Leidenschaft, sogar zu un- würdigen Wesen, wunderbar genung ergriffen wurden, so daß sie fromm, demüthig und gläubig wurden, ihre verlorne Jugend beklag- ten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe kennen lernten, deren Himmelsglanz sie in besse- ren Tagen verspottet hatten.
Könnte man nur immer, fügte Anton hinzu, jungen Menschen, welche in die Welt treten, und sich nur zu leicht von den scheinbar Reichen und Freien beherrschen und stimmen lassen, die Ueber- zeugung mit geben, wie arm und welche gebun-
Einleitung.
geiſter zu bekehren, weil von irgend einer Seite ihres Weſens ſich gewiß die Glaubensfaͤhigkeit erwecken laͤßt, die dann, einmal erregt, alle Em- pfindungen mit ſich reißt, und die ehemaligen Anſichten und Gedanken zertruͤmmert. Eben ſo wenig aber ſteht der Fromme, der nicht mit al- len ſeinen Kraͤften ſchon die Regionen des Zwei- fels durchwandert hat, ſeine Seele muͤſte dann etwa ganz Glaube und einfaͤltiges Vertrauen ſein, auf einem feſten Grunde.
Vorzuͤglich, ſagte Friedrich, ſind es die Lei- denſchaften, die ſo oft im Menſchen das zerſtoͤ- ren, was vorher als ſein eigenthuͤmlichſtes We- ſen erſcheinen konnte. Ich habe Wuͤſtlinge ge- kannt, wahre Gotteslaͤugner der Liebe und freche Verhoͤhner alles Heiligen, die lange mit der ſtol- zeſten Ueberzeugung ihr veraͤchtliches Leben fuͤhr- ten, und endlich, ſchon an der Graͤnze des Al- ters, von einer hoͤhern Leidenſchaft, ſogar zu un- wuͤrdigen Weſen, wunderbar genung ergriffen wurden, ſo daß ſie fromm, demuͤthig und glaͤubig wurden, ihre verlorne Jugend beklag- ten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe kennen lernten, deren Himmelsglanz ſie in beſſe- ren Tagen verſpottet hatten.
Koͤnnte man nur immer, fuͤgte Anton hinzu, jungen Menſchen, welche in die Welt treten, und ſich nur zu leicht von den ſcheinbar Reichen und Freien beherrſchen und ſtimmen laſſen, die Ueber- zeugung mit geben, wie arm und welche gebun-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0084"n="73"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
geiſter zu bekehren, weil von irgend einer Seite<lb/>
ihres Weſens ſich gewiß die Glaubensfaͤhigkeit<lb/>
erwecken laͤßt, die dann, einmal erregt, alle Em-<lb/>
pfindungen mit ſich reißt, und die ehemaligen<lb/>
Anſichten und Gedanken zertruͤmmert. Eben ſo<lb/>
wenig aber ſteht der Fromme, der nicht mit al-<lb/>
len ſeinen Kraͤften ſchon die Regionen des Zwei-<lb/>
fels durchwandert hat, ſeine Seele muͤſte dann<lb/>
etwa ganz Glaube und einfaͤltiges Vertrauen ſein,<lb/>
auf einem feſten Grunde.</p><lb/><p>Vorzuͤglich, ſagte Friedrich, ſind es die Lei-<lb/>
denſchaften, die ſo oft im Menſchen das zerſtoͤ-<lb/>
ren, was vorher als ſein eigenthuͤmlichſtes We-<lb/>ſen erſcheinen konnte. Ich habe Wuͤſtlinge ge-<lb/>
kannt, wahre Gotteslaͤugner der Liebe und freche<lb/>
Verhoͤhner alles Heiligen, die lange mit der ſtol-<lb/>
zeſten Ueberzeugung ihr veraͤchtliches Leben fuͤhr-<lb/>
ten, und endlich, ſchon an der Graͤnze des Al-<lb/>
ters, von einer hoͤhern Leidenſchaft, ſogar zu un-<lb/>
wuͤrdigen Weſen, wunderbar genung ergriffen<lb/>
wurden, ſo daß ſie fromm, demuͤthig und<lb/>
glaͤubig wurden, ihre verlorne Jugend beklag-<lb/>
ten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe<lb/>
kennen lernten, deren Himmelsglanz ſie in beſſe-<lb/>
ren Tagen verſpottet hatten.</p><lb/><p>Koͤnnte man nur immer, fuͤgte Anton hinzu,<lb/>
jungen Menſchen, welche in die Welt treten, und<lb/>ſich nur zu leicht von den ſcheinbar Reichen und<lb/>
Freien beherrſchen und ſtimmen laſſen, die Ueber-<lb/>
zeugung mit geben, wie arm und welche gebun-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[73/0084]
Einleitung.
geiſter zu bekehren, weil von irgend einer Seite
ihres Weſens ſich gewiß die Glaubensfaͤhigkeit
erwecken laͤßt, die dann, einmal erregt, alle Em-
pfindungen mit ſich reißt, und die ehemaligen
Anſichten und Gedanken zertruͤmmert. Eben ſo
wenig aber ſteht der Fromme, der nicht mit al-
len ſeinen Kraͤften ſchon die Regionen des Zwei-
fels durchwandert hat, ſeine Seele muͤſte dann
etwa ganz Glaube und einfaͤltiges Vertrauen ſein,
auf einem feſten Grunde.
Vorzuͤglich, ſagte Friedrich, ſind es die Lei-
denſchaften, die ſo oft im Menſchen das zerſtoͤ-
ren, was vorher als ſein eigenthuͤmlichſtes We-
ſen erſcheinen konnte. Ich habe Wuͤſtlinge ge-
kannt, wahre Gotteslaͤugner der Liebe und freche
Verhoͤhner alles Heiligen, die lange mit der ſtol-
zeſten Ueberzeugung ihr veraͤchtliches Leben fuͤhr-
ten, und endlich, ſchon an der Graͤnze des Al-
ters, von einer hoͤhern Leidenſchaft, ſogar zu un-
wuͤrdigen Weſen, wunderbar genung ergriffen
wurden, ſo daß ſie fromm, demuͤthig und
glaͤubig wurden, ihre verlorne Jugend beklag-
ten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe
kennen lernten, deren Himmelsglanz ſie in beſſe-
ren Tagen verſpottet hatten.
Koͤnnte man nur immer, fuͤgte Anton hinzu,
jungen Menſchen, welche in die Welt treten, und
ſich nur zu leicht von den ſcheinbar Reichen und
Freien beherrſchen und ſtimmen laſſen, die Ueber-
zeugung mit geben, wie arm und welche gebun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/84>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.