Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. Garten und Hause lag, herunter reiten. Dereinsame Anton gesellte sich zu Theodor und beide sprachen über Wilibald; es ist doch seltsam, sagte Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei- nem Menschen so weit gehen kann, daß er da- rüber in ein herbes widerspänstiges Wesen geräth, wie es unserm Freunde ergeht; er argwöhnt al- lenthalben Affektation und Unnatürlichkeit, er sieht sie allenthalben und will sie jedem Freunde und Bekannten abgewöhnen, und damit man ihm nur nicht etwas Unnatürliches zutraue, fällt er lieber oft in eine gewisse rauhe Manier, die von der Liebenswürdigkeit ziemlich entfernt ist. So will er die Weiber auch immer männ- Eine eigene Rubrik, fügte Anton hinzu, hält Selbst Sonne und Mond, sagte Theodor, Einleitung. Garten und Hauſe lag, herunter reiten. Dereinſame Anton geſellte ſich zu Theodor und beide ſprachen uͤber Wilibald; es iſt doch ſeltſam, ſagte Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei- nem Menſchen ſo weit gehen kann, daß er da- ruͤber in ein herbes widerſpaͤnſtiges Weſen geraͤth, wie es unſerm Freunde ergeht; er argwoͤhnt al- lenthalben Affektation und Unnatuͤrlichkeit, er ſieht ſie allenthalben und will ſie jedem Freunde und Bekannten abgewoͤhnen, und damit man ihm nur nicht etwas Unnatuͤrliches zutraue, faͤllt er lieber oft in eine gewiſſe rauhe Manier, die von der Liebenswuͤrdigkeit ziemlich entfernt iſt. So will er die Weiber auch immer maͤnn- Eine eigene Rubrik, fuͤgte Anton hinzu, haͤlt Selbſt Sonne und Mond, ſagte Theodor, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> Garten und Hauſe lag, herunter reiten. Der<lb/> einſame Anton geſellte ſich zu Theodor und beide<lb/> ſprachen uͤber Wilibald; es iſt doch ſeltſam, ſagte<lb/> Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei-<lb/> nem Menſchen ſo weit gehen kann, daß er da-<lb/> ruͤber in ein herbes widerſpaͤnſtiges Weſen geraͤth,<lb/> wie es unſerm Freunde ergeht; er argwoͤhnt al-<lb/> lenthalben Affektation und Unnatuͤrlichkeit, er ſieht<lb/> ſie allenthalben und will ſie jedem Freunde und<lb/> Bekannten abgewoͤhnen, und damit man ihm nur<lb/> nicht etwas Unnatuͤrliches zutraue, faͤllt er lieber<lb/> oft in eine gewiſſe rauhe Manier, die von der<lb/> Liebenswuͤrdigkeit ziemlich entfernt iſt.</p><lb/> <p>So will er die Weiber auch immer maͤnn-<lb/> lich machen, ſagte Theodor, ging es nach ihm,<lb/> ſo muͤſten ſie gerade alles das ablegen, was ſie<lb/> ſo unbeſchreiblich liebenswuͤrdig macht.</p><lb/> <p>Eine eigene Rubrik, fuͤgte Anton hinzu, haͤlt<lb/> er, welche er Kindereien uͤberſchreibt, und in die<lb/> er ſo ziemlich alles hinein traͤgt, was Sehnſucht,<lb/> Liebe, Schwaͤrmerei, ja Religion genannt wer-<lb/> den muß. Wie die Welt wohl uͤberhaupt aus-<lb/> ſaͤhe, wenn ſie nach ſeinem vernuͤnftigen Plane<lb/> formirt waͤre?</p><lb/> <p>Selbſt Sonne und Mond, ſagte Theodor,<lb/> halten nicht einmal die gehoͤrige Ordnung, des<lb/> Uebrigen zu geſchweigen. Die Abweichung der<lb/> Magnetnadel muß nach ihm entweder Affekta-<lb/> tion oder Kinderei ſein, und ſtatt ſich in den<lb/> Euripus zu ſtuͤrzen, weil er die vielfache Ebbe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0072]
Einleitung.
Garten und Hauſe lag, herunter reiten. Der
einſame Anton geſellte ſich zu Theodor und beide
ſprachen uͤber Wilibald; es iſt doch ſeltſam, ſagte
Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei-
nem Menſchen ſo weit gehen kann, daß er da-
ruͤber in ein herbes widerſpaͤnſtiges Weſen geraͤth,
wie es unſerm Freunde ergeht; er argwoͤhnt al-
lenthalben Affektation und Unnatuͤrlichkeit, er ſieht
ſie allenthalben und will ſie jedem Freunde und
Bekannten abgewoͤhnen, und damit man ihm nur
nicht etwas Unnatuͤrliches zutraue, faͤllt er lieber
oft in eine gewiſſe rauhe Manier, die von der
Liebenswuͤrdigkeit ziemlich entfernt iſt.
So will er die Weiber auch immer maͤnn-
lich machen, ſagte Theodor, ging es nach ihm,
ſo muͤſten ſie gerade alles das ablegen, was ſie
ſo unbeſchreiblich liebenswuͤrdig macht.
Eine eigene Rubrik, fuͤgte Anton hinzu, haͤlt
er, welche er Kindereien uͤberſchreibt, und in die
er ſo ziemlich alles hinein traͤgt, was Sehnſucht,
Liebe, Schwaͤrmerei, ja Religion genannt wer-
den muß. Wie die Welt wohl uͤberhaupt aus-
ſaͤhe, wenn ſie nach ſeinem vernuͤnftigen Plane
formirt waͤre?
Selbſt Sonne und Mond, ſagte Theodor,
halten nicht einmal die gehoͤrige Ordnung, des
Uebrigen zu geſchweigen. Die Abweichung der
Magnetnadel muß nach ihm entweder Affekta-
tion oder Kinderei ſein, und ſtatt ſich in den
Euripus zu ſtuͤrzen, weil er die vielfache Ebbe
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