Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
mal, indem sie über Land fuhr. Eine Rose entfiel
ihr, diese habe ich aufbewahrt; sie selbst ging mir
verloren, denn sie ward mir ungetreu und bald
darauf vermählt.

Gott im Himmel! rief die Alte und sprang hef-
tig bewegt auf, du bist doch nicht Ferdinand?

So ist mein Name, sagte jener.

Ich bin Franziska, antwortete die Muter.

Sie wollten sich umarmen, und fuhren schnell
zurück. Beide betrachteten sich mit prüfenden Blik-
ken, beide suchten aus dem Ruin der Zeit jene
Lineamente wieder zu entwickeln, die sie ehemals
an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in
dunkeln Gewitternächten unter dem Fluge schwar-
zer Wolken einzeln in flüchtigen Momenten die
Sterne räthselhaft schimmern, um schnell wieder
zu erlöschen, so schien ihnen aus den Augen, von
Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug
vorüberblitzend an, und es war, als wenn ihre
Jugend in der Ferne lächelnd weinte. Er bog sich
nieder und küßte ihre Hand, indem zwei große
Thränen herab stürzten, dann umarmten sie sich
herzlich.

Ist deine Frau gestorben? fragte die Mutter.

Ich war nie verheirathet, schluchzte Ferdinand.

Himmel! sagte die Alte, die Hände ringend,
so bin ich die Ungetreue gewesen! Doch nein, nicht
ungetreu. Als ich vom Lande zurück kam, wo ich
zwei Monden gewesen war, hörte ich von allen
Menschen, auch von deinen Freunden, nicht bloß
den meinigen, du seyst längst abgereist und in dei-

Erſte Abtheilung.
mal, indem ſie uͤber Land fuhr. Eine Roſe entfiel
ihr, dieſe habe ich aufbewahrt; ſie ſelbſt ging mir
verloren, denn ſie ward mir ungetreu und bald
darauf vermaͤhlt.

Gott im Himmel! rief die Alte und ſprang hef-
tig bewegt auf, du biſt doch nicht Ferdinand?

So iſt mein Name, ſagte jener.

Ich bin Franziska, antwortete die Muter.

Sie wollten ſich umarmen, und fuhren ſchnell
zuruͤck. Beide betrachteten ſich mit pruͤfenden Blik-
ken, beide ſuchten aus dem Ruin der Zeit jene
Lineamente wieder zu entwickeln, die ſie ehemals
an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in
dunkeln Gewitternaͤchten unter dem Fluge ſchwar-
zer Wolken einzeln in fluͤchtigen Momenten die
Sterne raͤthſelhaft ſchimmern, um ſchnell wieder
zu erloͤſchen, ſo ſchien ihnen aus den Augen, von
Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug
voruͤberblitzend an, und es war, als wenn ihre
Jugend in der Ferne laͤchelnd weinte. Er bog ſich
nieder und kuͤßte ihre Hand, indem zwei große
Thraͤnen herab ſtuͤrzten, dann umarmten ſie ſich
herzlich.

Iſt deine Frau geſtorben? fragte die Mutter.

Ich war nie verheirathet, ſchluchzte Ferdinand.

Himmel! ſagte die Alte, die Haͤnde ringend,
ſo bin ich die Ungetreue geweſen! Doch nein, nicht
ungetreu. Als ich vom Lande zuruͤck kam, wo ich
zwei Monden geweſen war, hoͤrte ich von allen
Menſchen, auch von deinen Freunden, nicht bloß
den meinigen, du ſeyſt laͤngſt abgereiſt und in dei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0465" n="454"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
mal, indem &#x017F;ie u&#x0364;ber Land fuhr. Eine Ro&#x017F;e entfiel<lb/>
ihr, die&#x017F;e habe ich aufbewahrt; &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ging mir<lb/>
verloren, denn &#x017F;ie ward mir ungetreu und bald<lb/>
darauf verma&#x0364;hlt.</p><lb/>
          <p>Gott im Himmel! rief die Alte und &#x017F;prang hef-<lb/>
tig bewegt auf, du bi&#x017F;t doch nicht Ferdinand?</p><lb/>
          <p>So i&#x017F;t mein Name, &#x017F;agte jener.</p><lb/>
          <p>Ich bin Franziska, antwortete die Muter.</p><lb/>
          <p>Sie wollten &#x017F;ich umarmen, und fuhren &#x017F;chnell<lb/>
zuru&#x0364;ck. Beide betrachteten &#x017F;ich mit pru&#x0364;fenden Blik-<lb/>
ken, beide &#x017F;uchten aus dem Ruin der Zeit jene<lb/>
Lineamente wieder zu entwickeln, die &#x017F;ie ehemals<lb/>
an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in<lb/>
dunkeln Gewitterna&#x0364;chten unter dem Fluge &#x017F;chwar-<lb/>
zer Wolken einzeln in flu&#x0364;chtigen Momenten die<lb/>
Sterne ra&#x0364;th&#x017F;elhaft &#x017F;chimmern, um &#x017F;chnell wieder<lb/>
zu erlo&#x0364;&#x017F;chen, &#x017F;o &#x017F;chien ihnen aus den Augen, von<lb/>
Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug<lb/>
voru&#x0364;berblitzend an, und es war, als wenn ihre<lb/>
Jugend in der Ferne la&#x0364;chelnd weinte. Er bog &#x017F;ich<lb/>
nieder und ku&#x0364;ßte ihre Hand, indem zwei große<lb/>
Thra&#x0364;nen herab &#x017F;tu&#x0364;rzten, dann umarmten &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
herzlich.</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t deine Frau ge&#x017F;torben? fragte die Mutter.</p><lb/>
          <p>Ich war nie verheirathet, &#x017F;chluchzte Ferdinand.</p><lb/>
          <p>Himmel! &#x017F;agte die Alte, die Ha&#x0364;nde ringend,<lb/>
&#x017F;o bin ich die Ungetreue gewe&#x017F;en! Doch nein, nicht<lb/>
ungetreu. Als ich vom Lande zuru&#x0364;ck kam, wo ich<lb/>
zwei Monden gewe&#x017F;en war, ho&#x0364;rte ich von allen<lb/>
Men&#x017F;chen, auch von deinen Freunden, nicht bloß<lb/>
den meinigen, du &#x017F;ey&#x017F;t la&#x0364;ng&#x017F;t abgerei&#x017F;t und in dei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[454/0465] Erſte Abtheilung. mal, indem ſie uͤber Land fuhr. Eine Roſe entfiel ihr, dieſe habe ich aufbewahrt; ſie ſelbſt ging mir verloren, denn ſie ward mir ungetreu und bald darauf vermaͤhlt. Gott im Himmel! rief die Alte und ſprang hef- tig bewegt auf, du biſt doch nicht Ferdinand? So iſt mein Name, ſagte jener. Ich bin Franziska, antwortete die Muter. Sie wollten ſich umarmen, und fuhren ſchnell zuruͤck. Beide betrachteten ſich mit pruͤfenden Blik- ken, beide ſuchten aus dem Ruin der Zeit jene Lineamente wieder zu entwickeln, die ſie ehemals an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in dunkeln Gewitternaͤchten unter dem Fluge ſchwar- zer Wolken einzeln in fluͤchtigen Momenten die Sterne raͤthſelhaft ſchimmern, um ſchnell wieder zu erloͤſchen, ſo ſchien ihnen aus den Augen, von Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug voruͤberblitzend an, und es war, als wenn ihre Jugend in der Ferne laͤchelnd weinte. Er bog ſich nieder und kuͤßte ihre Hand, indem zwei große Thraͤnen herab ſtuͤrzten, dann umarmten ſie ſich herzlich. Iſt deine Frau geſtorben? fragte die Mutter. Ich war nie verheirathet, ſchluchzte Ferdinand. Himmel! ſagte die Alte, die Haͤnde ringend, ſo bin ich die Ungetreue geweſen! Doch nein, nicht ungetreu. Als ich vom Lande zuruͤck kam, wo ich zwei Monden geweſen war, hoͤrte ich von allen Menſchen, auch von deinen Freunden, nicht bloß den meinigen, du ſeyſt laͤngſt abgereiſt und in dei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/465
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/465>, abgerufen am 15.05.2024.