thut das dem deutschen Herzen beim Glase deut- schen Weins! Ja, unsre Herzen sind noch frisch, wie ehedem, und daß sich auch keiner von uns das Tabackrauchen angewöhnt hat, thut mir in der Seele wohl.
Immer der Alte! sagte Lothar, du pflegst immer die Gespräche da zu stören, wo sie erst recht zu Gesprächen werden wollen; ich war begie- rig, wohin diese seltsamen Vorstellungen wohl führen, und wie diese Gedankenreihe oder dieser Empfindungsgang endigen möchte.
Wie? sagte Theodor, das kann ich dir aufs Haar sagen: sieh, Bruderseele, stehn wir erst an der Ewigkeit und solchen Gedanken oder Wor- ten, die sich gleichsam ins Unendliche dehnen, so kömmt es mir vor, wie ein Ablösen der Schild- wachen, daß nun bald eine neue Figur auf der- selben Stelle auf und ab spatzieren soll. Ich wette, nach zweien Sekunden hätten sie sich ange- sehn, kein Wort weiter zu sagen gewußt, das Glas genommen, getrunken und sich den Mund abgewischt.
"Weiter bringt es kein Mensch, stell er sich auch wie er will." O das ist das Erquickliche für unser einen, daß das Größte wieder so an das Kleinste gränzen muß, daß wir denn doch Alle Menschen, oder gar arme Sünder sind, jeder, nachdem sein Genius ihn lenkt.
Du scheust nur, sagte Anton, die liebliche Stille, das Säuseln des Geistes, welches in der
Einleitung.
thut das dem deutſchen Herzen beim Glaſe deut- ſchen Weins! Ja, unſre Herzen ſind noch friſch, wie ehedem, und daß ſich auch keiner von uns das Tabackrauchen angewoͤhnt hat, thut mir in der Seele wohl.
Immer der Alte! ſagte Lothar, du pflegſt immer die Geſpraͤche da zu ſtoͤren, wo ſie erſt recht zu Geſpraͤchen werden wollen; ich war begie- rig, wohin dieſe ſeltſamen Vorſtellungen wohl fuͤhren, und wie dieſe Gedankenreihe oder dieſer Empfindungsgang endigen moͤchte.
Wie? ſagte Theodor, das kann ich dir aufs Haar ſagen: ſieh, Bruderſeele, ſtehn wir erſt an der Ewigkeit und ſolchen Gedanken oder Wor- ten, die ſich gleichſam ins Unendliche dehnen, ſo koͤmmt es mir vor, wie ein Abloͤſen der Schild- wachen, daß nun bald eine neue Figur auf der- ſelben Stelle auf und ab ſpatzieren ſoll. Ich wette, nach zweien Sekunden haͤtten ſie ſich ange- ſehn, kein Wort weiter zu ſagen gewußt, das Glas genommen, getrunken und ſich den Mund abgewiſcht.
„Weiter bringt es kein Menſch, ſtell er ſich auch wie er will.“ O das iſt das Erquickliche fuͤr unſer einen, daß das Groͤßte wieder ſo an das Kleinſte graͤnzen muß, daß wir denn doch Alle Menſchen, oder gar arme Suͤnder ſind, jeder, nachdem ſein Genius ihn lenkt.
Du ſcheuſt nur, ſagte Anton, die liebliche Stille, das Saͤuſeln des Geiſtes, welches in der
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Einleitung.
thut das dem deutſchen Herzen beim Glaſe deut-
ſchen Weins! Ja, unſre Herzen ſind noch friſch,
wie ehedem, und daß ſich auch keiner von uns
das Tabackrauchen angewoͤhnt hat, thut mir in
der Seele wohl.
Immer der Alte! ſagte Lothar, du pflegſt
immer die Geſpraͤche da zu ſtoͤren, wo ſie erſt
recht zu Geſpraͤchen werden wollen; ich war begie-
rig, wohin dieſe ſeltſamen Vorſtellungen wohl
fuͤhren, und wie dieſe Gedankenreihe oder dieſer
Empfindungsgang endigen moͤchte.
Wie? ſagte Theodor, das kann ich dir aufs
Haar ſagen: ſieh, Bruderſeele, ſtehn wir erſt an
der Ewigkeit und ſolchen Gedanken oder Wor-
ten, die ſich gleichſam ins Unendliche dehnen,
ſo koͤmmt es mir vor, wie ein Abloͤſen der Schild-
wachen, daß nun bald eine neue Figur auf der-
ſelben Stelle auf und ab ſpatzieren ſoll. Ich
wette, nach zweien Sekunden haͤtten ſie ſich ange-
ſehn, kein Wort weiter zu ſagen gewußt, das
Glas genommen, getrunken und ſich den Mund
abgewiſcht.
„Weiter bringt es kein Menſch, ſtell er ſich
auch wie er will.“ O das iſt das Erquickliche
fuͤr unſer einen, daß das Groͤßte wieder ſo an
das Kleinſte graͤnzen muß, daß wir denn doch
Alle Menſchen, oder gar arme Suͤnder ſind, jeder,
nachdem ſein Genius ihn lenkt.
Du ſcheuſt nur, ſagte Anton, die liebliche
Stille, das Saͤuſeln des Geiſtes, welches in der
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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