Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Mitte der innigsten und höchsten Gedanken wohnt
und dessen heilige Stummheit dem unverständ-
lich ist, der noch nie an den Ohren ist beschnit-
ten worden.

Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut-
schen immer gemein, Gehörwerkzeuge affektirt, Hör-
vermögen philosophisch, und die Hörer oder die
Hörenden ist nicht gebräuchlich, kurzum, man
kann sie selten nennen, ohne anstößig zu sein.
Der Spanier vermeidet auch gern, so schlecht
hin Ohren zu sagen. Am besten braucht man
wohl Gehör, wo es paßt, oder das Ohr einzeln,
wodurch sie beide gleich edler werden.

Dein Tabakrauchen hat aber das vorige
Gespräch erstickt, sagte Lothar; freilich ist es die
unkünstlerischste aller Beschäftigungen und der
Genuß, der sich am wenigsten poetisch erheben
läßt.

Mir ist es über die Gebühr zuwider, sagte
Theodor, und darum betrachtete ich euch schon
alle gestern Abend darauf, denn es giebt einen
eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und
unter dem Auge, der sich an einem starken Rau-
cher unmöglich verkennen läßt; deshalb war ich
schon gestern über eure Phystognomien beruhigt.
Mir scheint die neuste schlimmste Zeit erst mit
der Verbreitung dieses Krautes entstanden zu
sein, und ich kann selbst auf den gepriesenen
Compaß böse sein, der uns nach Amerika führte,

Einleitung.
Mitte der innigſten und hoͤchſten Gedanken wohnt
und deſſen heilige Stummheit dem unverſtaͤnd-
lich iſt, der noch nie an den Ohren iſt beſchnit-
ten worden.

Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut-
ſchen immer gemein, Gehoͤrwerkzeuge affektirt, Hoͤr-
vermoͤgen philoſophiſch, und die Hoͤrer oder die
Hoͤrenden iſt nicht gebraͤuchlich, kurzum, man
kann ſie ſelten nennen, ohne anſtoͤßig zu ſein.
Der Spanier vermeidet auch gern, ſo ſchlecht
hin Ohren zu ſagen. Am beſten braucht man
wohl Gehoͤr, wo es paßt, oder das Ohr einzeln,
wodurch ſie beide gleich edler werden.

Dein Tabakrauchen hat aber das vorige
Geſpraͤch erſtickt, ſagte Lothar; freilich iſt es die
unkuͤnſtleriſchſte aller Beſchaͤftigungen und der
Genuß, der ſich am wenigſten poetiſch erheben
laͤßt.

Mir iſt es uͤber die Gebuͤhr zuwider, ſagte
Theodor, und darum betrachtete ich euch ſchon
alle geſtern Abend darauf, denn es giebt einen
eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und
unter dem Auge, der ſich an einem ſtarken Rau-
cher unmoͤglich verkennen laͤßt; deshalb war ich
ſchon geſtern uͤber eure Phyſtognomien beruhigt.
Mir ſcheint die neuſte ſchlimmſte Zeit erſt mit
der Verbreitung dieſes Krautes entſtanden zu
ſein, und ich kann ſelbſt auf den geprieſenen
Compaß boͤſe ſein, der uns nach Amerika fuͤhrte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
Mitte der innig&#x017F;ten und ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gedanken wohnt<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en heilige Stummheit dem unver&#x017F;ta&#x0364;nd-<lb/>
lich i&#x017F;t, der noch nie an den Ohren i&#x017F;t be&#x017F;chnit-<lb/>
ten worden.</p><lb/>
        <p>Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut-<lb/>
&#x017F;chen immer gemein, Geho&#x0364;rwerkzeuge affektirt, Ho&#x0364;r-<lb/>
vermo&#x0364;gen philo&#x017F;ophi&#x017F;ch, und die Ho&#x0364;rer oder die<lb/>
Ho&#x0364;renden i&#x017F;t nicht gebra&#x0364;uchlich, kurzum, man<lb/>
kann &#x017F;ie &#x017F;elten nennen, ohne an&#x017F;to&#x0364;ßig zu &#x017F;ein.<lb/>
Der Spanier vermeidet auch gern, &#x017F;o &#x017F;chlecht<lb/>
hin Ohren zu &#x017F;agen. Am be&#x017F;ten braucht man<lb/>
wohl Geho&#x0364;r, wo es paßt, oder das Ohr einzeln,<lb/>
wodurch &#x017F;ie beide gleich edler werden.</p><lb/>
        <p>Dein Tabakrauchen hat aber das vorige<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;ch er&#x017F;tickt, &#x017F;agte Lothar; freilich i&#x017F;t es die<lb/>
unku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;ch&#x017F;te aller Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen und der<lb/>
Genuß, der &#x017F;ich am wenig&#x017F;ten poeti&#x017F;ch erheben<lb/>
la&#x0364;ßt.</p><lb/>
        <p>Mir i&#x017F;t es u&#x0364;ber die Gebu&#x0364;hr zuwider, &#x017F;agte<lb/>
Theodor, und darum betrachtete ich euch &#x017F;chon<lb/>
alle ge&#x017F;tern Abend darauf, denn es giebt einen<lb/>
eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und<lb/>
unter dem Auge, der &#x017F;ich an einem &#x017F;tarken Rau-<lb/>
cher unmo&#x0364;glich verkennen la&#x0364;ßt; deshalb war ich<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;tern u&#x0364;ber eure Phy&#x017F;tognomien beruhigt.<lb/>
Mir &#x017F;cheint die neu&#x017F;te &#x017F;chlimm&#x017F;te Zeit er&#x017F;t mit<lb/>
der Verbreitung die&#x017F;es Krautes ent&#x017F;tanden zu<lb/>
&#x017F;ein, und ich kann &#x017F;elb&#x017F;t auf den geprie&#x017F;enen<lb/>
Compaß bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;ein, der uns nach Amerika fu&#x0364;hrte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0047] Einleitung. Mitte der innigſten und hoͤchſten Gedanken wohnt und deſſen heilige Stummheit dem unverſtaͤnd- lich iſt, der noch nie an den Ohren iſt beſchnit- ten worden. Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut- ſchen immer gemein, Gehoͤrwerkzeuge affektirt, Hoͤr- vermoͤgen philoſophiſch, und die Hoͤrer oder die Hoͤrenden iſt nicht gebraͤuchlich, kurzum, man kann ſie ſelten nennen, ohne anſtoͤßig zu ſein. Der Spanier vermeidet auch gern, ſo ſchlecht hin Ohren zu ſagen. Am beſten braucht man wohl Gehoͤr, wo es paßt, oder das Ohr einzeln, wodurch ſie beide gleich edler werden. Dein Tabakrauchen hat aber das vorige Geſpraͤch erſtickt, ſagte Lothar; freilich iſt es die unkuͤnſtleriſchſte aller Beſchaͤftigungen und der Genuß, der ſich am wenigſten poetiſch erheben laͤßt. Mir iſt es uͤber die Gebuͤhr zuwider, ſagte Theodor, und darum betrachtete ich euch ſchon alle geſtern Abend darauf, denn es giebt einen eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und unter dem Auge, der ſich an einem ſtarken Rau- cher unmoͤglich verkennen laͤßt; deshalb war ich ſchon geſtern uͤber eure Phyſtognomien beruhigt. Mir ſcheint die neuſte ſchlimmſte Zeit erſt mit der Verbreitung dieſes Krautes entſtanden zu ſein, und ich kann ſelbſt auf den geprieſenen Compaß boͤſe ſein, der uns nach Amerika fuͤhrte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/47
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/47>, abgerufen am 24.11.2024.