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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
dann schneller, endlich in eilender Bewegung mit
streichendem Finger um die Glut des Pokals in
ebenmäßigen Kreisen hin. Dann hielt er wieder
inne und legte die Kreise von der andern Seite.
Als er eine Weile dies Beginnen fortgesetzt hatte,
glaubte Ferdinand Musik zu hören, aber es klang
wie draußen, in einer fernen Gasse; doch bald ka-
men die Töne näher, sie schlugen lauter und lau-
ter an, sie zitterten bestimmter durch die Luft, und
es blieb ihm endlich kein Zweifel, daß sie aus dem
Innern des Bechers hervor quollen. Immer stär-
ker ward die Musik, und von so durchdringender
Kraft, daß des Jünglings Herz erzitterte und ihm
die Thränen in die Augen stiegen. Eifrig fuhr die
Hand des Alten in verschiedenen Richtungen über
die Mündung des Bechers, und es schien, als
wenn Funken aus seinen Fingern fuhren und zuk-
kend gegen das Gold leuchtend und klingend zer-
sprangen. Bald mehrten sich die glänzenden Punkte
und folgten, wie auf einen Faden gereiht, der Be-
wegung seines Fingers hin und wieder; sie glänz-
ten von verschiedenen Farben, und drängten sich
allgemach dichter und dichter an einander, bis sie
in Linien zusammen schossen. Nun schien es, als
wenn der Alte in der rothen Dämmerung ein wun-
dersames Netz über das leuchtende Gold legte, denn
er zog nach Willkühr die Stralen hin und wieder,
und verwebte mit ihnen die Oeffnung des Pokales;
sie gehorchten ihm und blieben, einer Bedeckung
ähnlich, liegen, indem sie hin und wieder webten
und in sich selber schwankten. Als sie so gefesselt

Erſte Abtheilung.
dann ſchneller, endlich in eilender Bewegung mit
ſtreichendem Finger um die Glut des Pokals in
ebenmaͤßigen Kreiſen hin. Dann hielt er wieder
inne und legte die Kreiſe von der andern Seite.
Als er eine Weile dies Beginnen fortgeſetzt hatte,
glaubte Ferdinand Muſik zu hoͤren, aber es klang
wie draußen, in einer fernen Gaſſe; doch bald ka-
men die Toͤne naͤher, ſie ſchlugen lauter und lau-
ter an, ſie zitterten beſtimmter durch die Luft, und
es blieb ihm endlich kein Zweifel, daß ſie aus dem
Innern des Bechers hervor quollen. Immer ſtaͤr-
ker ward die Muſik, und von ſo durchdringender
Kraft, daß des Juͤnglings Herz erzitterte und ihm
die Thraͤnen in die Augen ſtiegen. Eifrig fuhr die
Hand des Alten in verſchiedenen Richtungen uͤber
die Muͤndung des Bechers, und es ſchien, als
wenn Funken aus ſeinen Fingern fuhren und zuk-
kend gegen das Gold leuchtend und klingend zer-
ſprangen. Bald mehrten ſich die glaͤnzenden Punkte
und folgten, wie auf einen Faden gereiht, der Be-
wegung ſeines Fingers hin und wieder; ſie glaͤnz-
ten von verſchiedenen Farben, und draͤngten ſich
allgemach dichter und dichter an einander, bis ſie
in Linien zuſammen ſchoſſen. Nun ſchien es, als
wenn der Alte in der rothen Daͤmmerung ein wun-
derſames Netz uͤber das leuchtende Gold legte, denn
er zog nach Willkuͤhr die Stralen hin und wieder,
und verwebte mit ihnen die Oeffnung des Pokales;
ſie gehorchten ihm und blieben, einer Bedeckung
aͤhnlich, liegen, indem ſie hin und wieder webten
und in ſich ſelber ſchwankten. Als ſie ſo gefeſſelt

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[438/0449] Erſte Abtheilung. dann ſchneller, endlich in eilender Bewegung mit ſtreichendem Finger um die Glut des Pokals in ebenmaͤßigen Kreiſen hin. Dann hielt er wieder inne und legte die Kreiſe von der andern Seite. Als er eine Weile dies Beginnen fortgeſetzt hatte, glaubte Ferdinand Muſik zu hoͤren, aber es klang wie draußen, in einer fernen Gaſſe; doch bald ka- men die Toͤne naͤher, ſie ſchlugen lauter und lau- ter an, ſie zitterten beſtimmter durch die Luft, und es blieb ihm endlich kein Zweifel, daß ſie aus dem Innern des Bechers hervor quollen. Immer ſtaͤr- ker ward die Muſik, und von ſo durchdringender Kraft, daß des Juͤnglings Herz erzitterte und ihm die Thraͤnen in die Augen ſtiegen. Eifrig fuhr die Hand des Alten in verſchiedenen Richtungen uͤber die Muͤndung des Bechers, und es ſchien, als wenn Funken aus ſeinen Fingern fuhren und zuk- kend gegen das Gold leuchtend und klingend zer- ſprangen. Bald mehrten ſich die glaͤnzenden Punkte und folgten, wie auf einen Faden gereiht, der Be- wegung ſeines Fingers hin und wieder; ſie glaͤnz- ten von verſchiedenen Farben, und draͤngten ſich allgemach dichter und dichter an einander, bis ſie in Linien zuſammen ſchoſſen. Nun ſchien es, als wenn der Alte in der rothen Daͤmmerung ein wun- derſames Netz uͤber das leuchtende Gold legte, denn er zog nach Willkuͤhr die Stralen hin und wieder, und verwebte mit ihnen die Oeffnung des Pokales; ſie gehorchten ihm und blieben, einer Bedeckung aͤhnlich, liegen, indem ſie hin und wieder webten und in ſich ſelber ſchwankten. Als ſie ſo gefeſſelt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/449>, abgerufen am 22.11.2024.