nen entrinnt, wir möchten es auch noch so gerne so wollen und wenn es uns auch über die Maßen gefiele; der Himmel verhütet auch, daß es sel- ten in ein großes Trauerspiel ausartet, sondern es verläuft sich freilich meist, wie viele unerquick- liche Werke mit einzelnen schönen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf.
O nein, sagte Friedrich, glaubt es mir, meine Freunde, das Leben ist höheren Ursprungs, und es steht in unserer Gewalt es seiner edlen Ge- burt würdig zu erziehn und zu erhalten, daß Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke darüber triumphiren dürfen: ja, es giebt eine ewige Jugend, eine Sehnsucht, die ewig währt, weil sie ewig nicht erfüllt wird; weder getäuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfüllt, damit sie nicht sterbe, denn sie sehnt sich im innersten Herzen nach sich selbst, sie spiegelt in unendlich wechselnden Gestalten das Bild der nimmer ver- gänglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himm- lische Ferne im Allernächsten. Ist es denn mög- lich, daß der Mensch, der nur einmal aus die- ser Quelle des heiligen Wahnsinnes trinken durfte, je wieder zur Nüchternheit, zum todten Zweifel erwacht?
Bei alledem, sagte Theodor, wäre ein Jung- brunnen, von dem die Alten gedichtet haben, nicht zu verschmähn; wär' es auch nur der grauen Haare wegen.
Wie könntet ihr, fuhr Friedrich fort, doch
I. [ 3 ]
Einleitung.
nen entrinnt, wir moͤchten es auch noch ſo gerne ſo wollen und wenn es uns auch uͤber die Maßen gefiele; der Himmel verhuͤtet auch, daß es ſel- ten in ein großes Trauerſpiel ausartet, ſondern es verlaͤuft ſich freilich meiſt, wie viele unerquick- liche Werke mit einzelnen ſchoͤnen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf.
O nein, ſagte Friedrich, glaubt es mir, meine Freunde, das Leben iſt hoͤheren Urſprungs, und es ſteht in unſerer Gewalt es ſeiner edlen Ge- burt wuͤrdig zu erziehn und zu erhalten, daß Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke daruͤber triumphiren duͤrfen: ja, es giebt eine ewige Jugend, eine Sehnſucht, die ewig waͤhrt, weil ſie ewig nicht erfuͤllt wird; weder getaͤuſcht noch hintergangen, ſondern nur nicht erfuͤllt, damit ſie nicht ſterbe, denn ſie ſehnt ſich im innerſten Herzen nach ſich ſelbſt, ſie ſpiegelt in unendlich wechſelnden Geſtalten das Bild der nimmer ver- gaͤnglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himm- liſche Ferne im Allernaͤchſten. Iſt es denn moͤg- lich, daß der Menſch, der nur einmal aus die- ſer Quelle des heiligen Wahnſinnes trinken durfte, je wieder zur Nuͤchternheit, zum todten Zweifel erwacht?
Bei alledem, ſagte Theodor, waͤre ein Jung- brunnen, von dem die Alten gedichtet haben, nicht zu verſchmaͤhn; waͤr' es auch nur der grauen Haare wegen.
Wie koͤnntet ihr, fuhr Friedrich fort, doch
I. [ 3 ]
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Einleitung.
nen entrinnt, wir moͤchten es auch noch ſo gerne
ſo wollen und wenn es uns auch uͤber die Maßen
gefiele; der Himmel verhuͤtet auch, daß es ſel-
ten in ein großes Trauerſpiel ausartet, ſondern
es verlaͤuft ſich freilich meiſt, wie viele unerquick-
liche Werke mit einzelnen ſchoͤnen Stellen, oder
gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf.
O nein, ſagte Friedrich, glaubt es mir, meine
Freunde, das Leben iſt hoͤheren Urſprungs, und
es ſteht in unſerer Gewalt es ſeiner edlen Ge-
burt wuͤrdig zu erziehn und zu erhalten, daß
Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke
daruͤber triumphiren duͤrfen: ja, es giebt eine
ewige Jugend, eine Sehnſucht, die ewig waͤhrt,
weil ſie ewig nicht erfuͤllt wird; weder getaͤuſcht
noch hintergangen, ſondern nur nicht erfuͤllt, damit
ſie nicht ſterbe, denn ſie ſehnt ſich im innerſten
Herzen nach ſich ſelbſt, ſie ſpiegelt in unendlich
wechſelnden Geſtalten das Bild der nimmer ver-
gaͤnglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himm-
liſche Ferne im Allernaͤchſten. Iſt es denn moͤg-
lich, daß der Menſch, der nur einmal aus die-
ſer Quelle des heiligen Wahnſinnes trinken durfte,
je wieder zur Nuͤchternheit, zum todten Zweifel
erwacht?
Bei alledem, ſagte Theodor, waͤre ein Jung-
brunnen, von dem die Alten gedichtet haben,
nicht zu verſchmaͤhn; waͤr' es auch nur der grauen
Haare wegen.
Wie koͤnntet ihr, fuhr Friedrich fort, doch
I. [ 3 ]
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/44>, abgerufen am 24.11.2024.
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