kreischen; jene dort unten verbreiten die Feuerflüsse von allen Seiten unter der Erde hin, davon wachsen nun die Blumen, die Früchte und der Wein; die rothen Ströme gehn neben den Wasser- bächen, und so sind die flammigen Wesen immer thätig und freudig. Aber dir ist es hier zu heiß, wir wollen wieder hinaus in den Garten gehn.
Hier hatte sich die Scene verwandelt. Der Mondschein lag auf allen Blumen, die Vögel wa- ren still und die Kinder schliefen in mannigfaltigen Gruppen in den grünen Lauben. Marie und ihre Freundin fühlten aber keine Müdigkeit, sondern lustwandelten in der warmen Sommernacht unter vielerlei Gesprächen bis zum Morgen.
Als der Tag anbrach, erquickten sie sich an Früchten und Milch, und Marie sagte: laß uns doch zur Abwechselung einmal nach den Tannen hinaus gehn, wie es dort aussehen mag. Gern, sagte Zerina, so kannst du auch zugleich dorten unsre Schildwachten besuchen, die dir gewiß gefal- len werden, sie stehn oben auf dem Walle zwischen den Bäumen. Sie gingen durch die Blumengär- ten, durch anmuthige Haine voller Nachtigallen, dann stiegen sie über Rebenhügel, und kamen end- lich, nachdem sie lange den Windungen eines kla- ren Baches nachgefolgt waren, zu den Tannen und der Erhöhung, welche das Gebiet begränzte. Wie kommt es nur, fragte Marie, daß wir hier inner- halb so weit zu gehn haben, da doch draußen der Umkreis nur so klein ist? Ich weiß nicht, ant- wortete die Freundin, wie es zugeht, aber es ist so.
Erſte Abtheilung.
kreiſchen; jene dort unten verbreiten die Feuerfluͤſſe von allen Seiten unter der Erde hin, davon wachſen nun die Blumen, die Fruͤchte und der Wein; die rothen Stroͤme gehn neben den Waſſer- baͤchen, und ſo ſind die flammigen Weſen immer thaͤtig und freudig. Aber dir iſt es hier zu heiß, wir wollen wieder hinaus in den Garten gehn.
Hier hatte ſich die Scene verwandelt. Der Mondſchein lag auf allen Blumen, die Voͤgel wa- ren ſtill und die Kinder ſchliefen in mannigfaltigen Gruppen in den gruͤnen Lauben. Marie und ihre Freundin fuͤhlten aber keine Muͤdigkeit, ſondern luſtwandelten in der warmen Sommernacht unter vielerlei Geſpraͤchen bis zum Morgen.
Als der Tag anbrach, erquickten ſie ſich an Fruͤchten und Milch, und Marie ſagte: laß uns doch zur Abwechſelung einmal nach den Tannen hinaus gehn, wie es dort ausſehen mag. Gern, ſagte Zerina, ſo kannſt du auch zugleich dorten unſre Schildwachten beſuchen, die dir gewiß gefal- len werden, ſie ſtehn oben auf dem Walle zwiſchen den Baͤumen. Sie gingen durch die Blumengaͤr- ten, durch anmuthige Haine voller Nachtigallen, dann ſtiegen ſie uͤber Rebenhuͤgel, und kamen end- lich, nachdem ſie lange den Windungen eines kla- ren Baches nachgefolgt waren, zu den Tannen und der Erhoͤhung, welche das Gebiet begraͤnzte. Wie kommt es nur, fragte Marie, daß wir hier inner- halb ſo weit zu gehn haben, da doch draußen der Umkreis nur ſo klein iſt? Ich weiß nicht, ant- wortete die Freundin, wie es zugeht, aber es iſt ſo.
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[412/0423]
Erſte Abtheilung.
kreiſchen; jene dort unten verbreiten die Feuerfluͤſſe
von allen Seiten unter der Erde hin, davon
wachſen nun die Blumen, die Fruͤchte und der
Wein; die rothen Stroͤme gehn neben den Waſſer-
baͤchen, und ſo ſind die flammigen Weſen immer
thaͤtig und freudig. Aber dir iſt es hier zu heiß,
wir wollen wieder hinaus in den Garten gehn.
Hier hatte ſich die Scene verwandelt. Der
Mondſchein lag auf allen Blumen, die Voͤgel wa-
ren ſtill und die Kinder ſchliefen in mannigfaltigen
Gruppen in den gruͤnen Lauben. Marie und ihre
Freundin fuͤhlten aber keine Muͤdigkeit, ſondern
luſtwandelten in der warmen Sommernacht unter
vielerlei Geſpraͤchen bis zum Morgen.
Als der Tag anbrach, erquickten ſie ſich an
Fruͤchten und Milch, und Marie ſagte: laß uns
doch zur Abwechſelung einmal nach den Tannen
hinaus gehn, wie es dort ausſehen mag. Gern,
ſagte Zerina, ſo kannſt du auch zugleich dorten
unſre Schildwachten beſuchen, die dir gewiß gefal-
len werden, ſie ſtehn oben auf dem Walle zwiſchen
den Baͤumen. Sie gingen durch die Blumengaͤr-
ten, durch anmuthige Haine voller Nachtigallen,
dann ſtiegen ſie uͤber Rebenhuͤgel, und kamen end-
lich, nachdem ſie lange den Windungen eines kla-
ren Baches nachgefolgt waren, zu den Tannen und
der Erhoͤhung, welche das Gebiet begraͤnzte. Wie
kommt es nur, fragte Marie, daß wir hier inner-
halb ſo weit zu gehn haben, da doch draußen der
Umkreis nur ſo klein iſt? Ich weiß nicht, ant-
wortete die Freundin, wie es zugeht, aber es iſt ſo.
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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