Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang, Noch schreiender gellender Hörnergesang! Ermuthiget schwingt, dringt, springt ohne Ruh, Weil Lieb uns nicht Leben Kein Herz hat gegeben, Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! --
Er hatte geendigt und stand am Fenster. Da kam sie gegen über herein, so schön, wie er sie noch nie gesehn hatte, das braune Haar aufgelöst wogte und spielte in muthwilligen Locken um den weißesten Nacken; sie war nur leicht bekleidet und schien noch vor Schlafengehn zu später Nachtzeit einige häusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn sie stellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers, ordnete den Teppich auf dem Tische, und entfernte sich wieder. Noch war Emil in seinen süßen Träu- mereien versunken, und wiederholte sich in seiner Phantasie das Bild seiner Geliebten, als zu sei- nem Entsetzen die fürchterliche, die rothe Alte durch das Zimmer schritt; gräßlich leuchtete von ihrem Haupt und Busen das Gold im Widerschein der Lichter. Sie war wieder verschwunden. Sollte er seinen Augen trauen? War es kein Blendwerk der Nacht, welches ihm seine eigne Einbildung gespenstisch vorüber geführt hatte?
Aber nein, sie kehrte zurück, noch gräßlicher als zuvor, denn ein langes greises und schwarzes Haar flog wild und ungeordnet um Brust und Rücken; das schöne Mädchen folgte ihr, blaß, ent- stellt, die schönsten Brüste ohne Hülle, aber das ganze Bild einer Statue von Marmor ähnlich.
Liebeszauber.
Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang, Noch ſchreiender gellender Hoͤrnergeſang! Ermuthiget ſchwingt, dringt, ſpringt ohne Ruh, Weil Lieb uns nicht Leben Kein Herz hat gegeben, Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! —
Er hatte geendigt und ſtand am Fenſter. Da kam ſie gegen uͤber herein, ſo ſchoͤn, wie er ſie noch nie geſehn hatte, das braune Haar aufgeloͤſt wogte und ſpielte in muthwilligen Locken um den weißeſten Nacken; ſie war nur leicht bekleidet und ſchien noch vor Schlafengehn zu ſpaͤter Nachtzeit einige haͤusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn ſie ſtellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers, ordnete den Teppich auf dem Tiſche, und entfernte ſich wieder. Noch war Emil in ſeinen ſuͤßen Traͤu- mereien verſunken, und wiederholte ſich in ſeiner Phantaſie das Bild ſeiner Geliebten, als zu ſei- nem Entſetzen die fuͤrchterliche, die rothe Alte durch das Zimmer ſchritt; graͤßlich leuchtete von ihrem Haupt und Buſen das Gold im Widerſchein der Lichter. Sie war wieder verſchwunden. Sollte er ſeinen Augen trauen? War es kein Blendwerk der Nacht, welches ihm ſeine eigne Einbildung geſpenſtiſch voruͤber gefuͤhrt hatte?
Aber nein, ſie kehrte zuruͤck, noch graͤßlicher als zuvor, denn ein langes greiſes und ſchwarzes Haar flog wild und ungeordnet um Bruſt und Ruͤcken; das ſchoͤne Maͤdchen folgte ihr, blaß, ent- ſtellt, die ſchoͤnſten Bruͤſte ohne Huͤlle, aber das ganze Bild einer Statue von Marmor aͤhnlich.
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Liebeszauber.
Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang,
Noch ſchreiender gellender Hoͤrnergeſang!
Ermuthiget ſchwingt, dringt, ſpringt ohne Ruh,
Weil Lieb uns nicht Leben
Kein Herz hat gegeben,
Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! —
Er hatte geendigt und ſtand am Fenſter. Da
kam ſie gegen uͤber herein, ſo ſchoͤn, wie er ſie
noch nie geſehn hatte, das braune Haar aufgeloͤſt
wogte und ſpielte in muthwilligen Locken um den
weißeſten Nacken; ſie war nur leicht bekleidet und
ſchien noch vor Schlafengehn zu ſpaͤter Nachtzeit
einige haͤusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn
ſie ſtellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers,
ordnete den Teppich auf dem Tiſche, und entfernte
ſich wieder. Noch war Emil in ſeinen ſuͤßen Traͤu-
mereien verſunken, und wiederholte ſich in ſeiner
Phantaſie das Bild ſeiner Geliebten, als zu ſei-
nem Entſetzen die fuͤrchterliche, die rothe Alte durch
das Zimmer ſchritt; graͤßlich leuchtete von ihrem
Haupt und Buſen das Gold im Widerſchein der
Lichter. Sie war wieder verſchwunden. Sollte
er ſeinen Augen trauen? War es kein Blendwerk
der Nacht, welches ihm ſeine eigne Einbildung
geſpenſtiſch voruͤber gefuͤhrt hatte?
Aber nein, ſie kehrte zuruͤck, noch graͤßlicher
als zuvor, denn ein langes greiſes und ſchwarzes
Haar flog wild und ungeordnet um Bruſt und
Ruͤcken; das ſchoͤne Maͤdchen folgte ihr, blaß, ent-
ſtellt, die ſchoͤnſten Bruͤſte ohne Huͤlle, aber das
ganze Bild einer Statue von Marmor aͤhnlich.
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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