Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Runenberg.
sinne dich, mein Lieber, so muß dir der böse Feind
Blut und Leben verzehren. -- Ja, sagte Christian,
ich verstehe mich selber nicht mehr, weder bei Tage
noch in der Nacht läßt es mir Ruhe; seht, wie
es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe
Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie
es klingt, dies güldene Blut! das ruft mich, wenn
ich schlafe, ich höre es, wenn Musik tönt, wenn
der Wind bläst, wenn Leute auf der Gasse spre-
chen; scheint die Sonne, so sehe ich nur diese gel-
ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich
ein Liebeswort ins Ohr sagen will: so muß ich
mich wohl nächtlicher Weise aufmachen, um nur
seinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fühle
ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich
es mit meinen Fingern berühre, es wird vor Freu-
den immer röther und herrlicher; schaut nur selbst
die Glut der Entzückung an! -- Der Greis nahm
schaudernd und weinend den Sohn in seine Arme,
betete und sprach dann: Christel, du mußt dich
wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei-
ßiger und andächtiger in die Kirche gehen, sonst
wirst du verschmachten und im traurigsten Elende
dich verzehren.

Das Geld wurde wieder weggeschlossen, Chri-
stian versprach sich zu ändern und in sich zu gehn,
und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr
und mehr vergangen, und man hatte von dem
Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen
können; der Alte gab nun endlich den Bitten seines
Sohnes nach, und das zurückgelassene Geld wurde

Der Runenberg.
ſinne dich, mein Lieber, ſo muß dir der boͤſe Feind
Blut und Leben verzehren. — Ja, ſagte Chriſtian,
ich verſtehe mich ſelber nicht mehr, weder bei Tage
noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; ſeht, wie
es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe
Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie
es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn
ich ſchlafe, ich hoͤre es, wenn Muſik toͤnt, wenn
der Wind blaͤſt, wenn Leute auf der Gaſſe ſpre-
chen; ſcheint die Sonne, ſo ſehe ich nur dieſe gel-
ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich
ein Liebeswort ins Ohr ſagen will: ſo muß ich
mich wohl naͤchtlicher Weiſe aufmachen, um nur
ſeinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle
ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich
es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu-
den immer roͤther und herrlicher; ſchaut nur ſelbſt
die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm
ſchaudernd und weinend den Sohn in ſeine Arme,
betete und ſprach dann: Chriſtel, du mußt dich
wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei-
ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, ſonſt
wirſt du verſchmachten und im traurigſten Elende
dich verzehren.

Das Geld wurde wieder weggeſchloſſen, Chri-
ſtian verſprach ſich zu aͤndern und in ſich zu gehn,
und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr
und mehr vergangen, und man hatte von dem
Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen
koͤnnen; der Alte gab nun endlich den Bitten ſeines
Sohnes nach, und das zuruͤckgelaſſene Geld wurde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="261"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Runenberg</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;inne dich, mein Lieber, &#x017F;o muß dir der bo&#x0364;&#x017F;e Feind<lb/>
Blut und Leben verzehren. &#x2014; Ja, &#x017F;agte Chri&#x017F;tian,<lb/>
ich ver&#x017F;tehe mich &#x017F;elber nicht mehr, weder bei Tage<lb/>
noch in der Nacht la&#x0364;ßt es mir Ruhe; &#x017F;eht, wie<lb/>
es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe<lb/>
Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie<lb/>
es klingt, dies gu&#x0364;ldene Blut! das ruft mich, wenn<lb/>
ich &#x017F;chlafe, ich ho&#x0364;re es, wenn Mu&#x017F;ik to&#x0364;nt, wenn<lb/>
der Wind bla&#x0364;&#x017F;t, wenn Leute auf der Ga&#x017F;&#x017F;e &#x017F;pre-<lb/>
chen; &#x017F;cheint die Sonne, &#x017F;o &#x017F;ehe ich nur die&#x017F;e gel-<lb/>
ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich<lb/>
ein Liebeswort ins Ohr &#x017F;agen will: &#x017F;o muß ich<lb/>
mich wohl na&#x0364;chtlicher Wei&#x017F;e aufmachen, um nur<lb/>
&#x017F;einem Liebesdrang genug zu thun, und dann fu&#x0364;hle<lb/>
ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich<lb/>
es mit meinen Fingern beru&#x0364;hre, es wird vor Freu-<lb/>
den immer ro&#x0364;ther und herrlicher; &#x017F;chaut nur &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die Glut der Entzu&#x0364;ckung an! &#x2014; Der Greis nahm<lb/>
&#x017F;chaudernd und weinend den Sohn in &#x017F;eine Arme,<lb/>
betete und &#x017F;prach dann: Chri&#x017F;tel, du mußt dich<lb/>
wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei-<lb/>
ßiger und anda&#x0364;chtiger in die Kirche gehen, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
wir&#x017F;t du ver&#x017F;chmachten und im traurig&#x017F;ten Elende<lb/>
dich verzehren.</p><lb/>
          <p>Das Geld wurde wieder wegge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, Chri-<lb/>
&#x017F;tian ver&#x017F;prach &#x017F;ich zu a&#x0364;ndern und in &#x017F;ich zu gehn,<lb/>
und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr<lb/>
und mehr vergangen, und man hatte von dem<lb/>
Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen<lb/>
ko&#x0364;nnen; der Alte gab nun endlich den Bitten &#x017F;eines<lb/>
Sohnes nach, und das zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;ene Geld wurde<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0272] Der Runenberg. ſinne dich, mein Lieber, ſo muß dir der boͤſe Feind Blut und Leben verzehren. — Ja, ſagte Chriſtian, ich verſtehe mich ſelber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; ſeht, wie es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn ich ſchlafe, ich hoͤre es, wenn Muſik toͤnt, wenn der Wind blaͤſt, wenn Leute auf der Gaſſe ſpre- chen; ſcheint die Sonne, ſo ſehe ich nur dieſe gel- ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr ſagen will: ſo muß ich mich wohl naͤchtlicher Weiſe aufmachen, um nur ſeinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu- den immer roͤther und herrlicher; ſchaut nur ſelbſt die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm ſchaudernd und weinend den Sohn in ſeine Arme, betete und ſprach dann: Chriſtel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei- ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, ſonſt wirſt du verſchmachten und im traurigſten Elende dich verzehren. Das Geld wurde wieder weggeſchloſſen, Chri- ſtian verſprach ſich zu aͤndern und in ſich zu gehn, und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr und mehr vergangen, und man hatte von dem Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen koͤnnen; der Alte gab nun endlich den Bitten ſeines Sohnes nach, und das zuruͤckgelaſſene Geld wurde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/272
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/272>, abgerufen am 22.11.2024.