ich habe eine Summe Geldes bei mir, die in euren Händen sicherer ist als in den meinigen, und des- halb bitte ich euch, sie zu verwahren, komme ich in Jahresfrist nicht zurück, so behaltet sie, und nehmet sie als einen Dank für eure mir bewiesene Freundschaft an.
So reiste der Fremde ab, und Christian nahm das Geld in Verwahrung. Er verschloß es sorg- fältig und sah aus übertriebener Aengstlichkeit zu- weilen wieder nach, zählte es über, ob nichts da- ran fehle, und machte sich viel damit zu thun. Diese Summe könnte uns recht glücklich machen, sagte er einmal zu seinem Vater, wenn der Fremde nicht zurück kommen sollte, für uns und unsre Kinder wäre auf immer gesorgt. Laß das Gold, sagte der Alte, darinne liegt das Glück nicht, uns hat bisher noch gottlob nichts gemangelt, und ent- schlage dich überhaupt dieser Gedanken.
Oft stand Christian in der Nacht auf, um die Knechte zur Arbeit zu wecken und selbst nach allem zu sehn; der Vater war besorgt, daß er durch übertriebenen Fleiß seiner Jugend und Ge- sundheit schaden möchte: daher machte er sich in einer Nacht auf, um ihn zu ermahnen, seine über- triebene Thätigkeit einzuschränken, als er ihn zu seinem Erstaunen bei einer kleinen Lampe am Ti- sche sitzend fand, indem er wieder mit der größten Aemsigkeit die Goldstücke zählte. Mein Sohn, sagte der Alte mit Schmerzen, soll es dahin mit dir kommen, ist dieses verfluchte Metall nur zu unserm Unglück unter dieses Dach gebracht? Be-
Erſte Abtheilung.
ich habe eine Summe Geldes bei mir, die in euren Haͤnden ſicherer iſt als in den meinigen, und des- halb bitte ich euch, ſie zu verwahren, komme ich in Jahresfriſt nicht zuruͤck, ſo behaltet ſie, und nehmet ſie als einen Dank fuͤr eure mir bewieſene Freundſchaft an.
So reiſte der Fremde ab, und Chriſtian nahm das Geld in Verwahrung. Er verſchloß es ſorg- faͤltig und ſah aus uͤbertriebener Aengſtlichkeit zu- weilen wieder nach, zaͤhlte es uͤber, ob nichts da- ran fehle, und machte ſich viel damit zu thun. Dieſe Summe koͤnnte uns recht gluͤcklich machen, ſagte er einmal zu ſeinem Vater, wenn der Fremde nicht zuruͤck kommen ſollte, fuͤr uns und unſre Kinder waͤre auf immer geſorgt. Laß das Gold, ſagte der Alte, darinne liegt das Gluͤck nicht, uns hat bisher noch gottlob nichts gemangelt, und ent- ſchlage dich uͤberhaupt dieſer Gedanken.
Oft ſtand Chriſtian in der Nacht auf, um die Knechte zur Arbeit zu wecken und ſelbſt nach allem zu ſehn; der Vater war beſorgt, daß er durch uͤbertriebenen Fleiß ſeiner Jugend und Ge- ſundheit ſchaden moͤchte: daher machte er ſich in einer Nacht auf, um ihn zu ermahnen, ſeine uͤber- triebene Thaͤtigkeit einzuſchraͤnken, als er ihn zu ſeinem Erſtaunen bei einer kleinen Lampe am Ti- ſche ſitzend fand, indem er wieder mit der groͤßten Aemſigkeit die Goldſtuͤcke zaͤhlte. Mein Sohn, ſagte der Alte mit Schmerzen, ſoll es dahin mit dir kommen, iſt dieſes verfluchte Metall nur zu unſerm Ungluͤck unter dieſes Dach gebracht? Be-
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Erſte Abtheilung.
ich habe eine Summe Geldes bei mir, die in euren
Haͤnden ſicherer iſt als in den meinigen, und des-
halb bitte ich euch, ſie zu verwahren, komme ich
in Jahresfriſt nicht zuruͤck, ſo behaltet ſie, und
nehmet ſie als einen Dank fuͤr eure mir bewieſene
Freundſchaft an.
So reiſte der Fremde ab, und Chriſtian nahm
das Geld in Verwahrung. Er verſchloß es ſorg-
faͤltig und ſah aus uͤbertriebener Aengſtlichkeit zu-
weilen wieder nach, zaͤhlte es uͤber, ob nichts da-
ran fehle, und machte ſich viel damit zu thun.
Dieſe Summe koͤnnte uns recht gluͤcklich machen,
ſagte er einmal zu ſeinem Vater, wenn der Fremde
nicht zuruͤck kommen ſollte, fuͤr uns und unſre
Kinder waͤre auf immer geſorgt. Laß das Gold,
ſagte der Alte, darinne liegt das Gluͤck nicht, uns
hat bisher noch gottlob nichts gemangelt, und ent-
ſchlage dich uͤberhaupt dieſer Gedanken.
Oft ſtand Chriſtian in der Nacht auf, um
die Knechte zur Arbeit zu wecken und ſelbſt nach
allem zu ſehn; der Vater war beſorgt, daß er
durch uͤbertriebenen Fleiß ſeiner Jugend und Ge-
ſundheit ſchaden moͤchte: daher machte er ſich in
einer Nacht auf, um ihn zu ermahnen, ſeine uͤber-
triebene Thaͤtigkeit einzuſchraͤnken, als er ihn zu
ſeinem Erſtaunen bei einer kleinen Lampe am Ti-
ſche ſitzend fand, indem er wieder mit der groͤßten
Aemſigkeit die Goldſtuͤcke zaͤhlte. Mein Sohn,
ſagte der Alte mit Schmerzen, ſoll es dahin mit
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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