Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
und den Grabgesang der Nonnen. Ich fragte:
man sagte mir, daß Fräulein Emma aus Gram
über den Tod ihres Bräutigams gestorben sei.

Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich
lebe, ob alles Wahrheit sey. Ich eilte zurück zu
meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht
spät in die Stadt, in der sie wohnten. Alles war
in Unruhe, Pferde und Rüstwagen erfüllten die
Straßen, Lanzenknechte tummelten sich durchein-
ander und sprachen in verwirrten Reden: es war
gerade an dem, daß der Kaiser einen Feldzug gegen
seine Feinde unternehmen wollte. Ein einsames
Licht brannte in der väterlichen Wohnung als ich
herein trat; eine drückende Beklemmung lag auf
meiner Brust. Auf mein Anklopfen kommt mir
mein Vater selbst mit leisem bedächtigen Schritte
entgegen; sogleich erinnerte ich mich des alten Trau-
mes aus meinen Kinderjahren, und fühle mit innig-
ster Bewegung, daß es dasselbe sey, was ich nun
erlebe. Ich bin bestürzt, ich frage: Warum, Va-
ter, seid Ihr so spät noch auf? Er führt mich
hinein und spricht: Ich muß wohl wachen, denn
deine Mutter ist ja nun auch todt.

Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele.
Er setzte sich bedächtig nieder, ich mich an seine
Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war
mit Tüchern seltsam zugehängt. Mein Herz wollte
zerspringen. Ich halte Wache, sprach der Alte,
denn meine Gattin sitzt noch immer neben mir.
Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen
in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es

Erſte Abtheilung.
und den Grabgeſang der Nonnen. Ich fragte:
man ſagte mir, daß Fraͤulein Emma aus Gram
uͤber den Tod ihres Braͤutigams geſtorben ſei.

Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich
lebe, ob alles Wahrheit ſey. Ich eilte zuruͤck zu
meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht
ſpaͤt in die Stadt, in der ſie wohnten. Alles war
in Unruhe, Pferde und Ruͤſtwagen erfuͤllten die
Straßen, Lanzenknechte tummelten ſich durchein-
ander und ſprachen in verwirrten Reden: es war
gerade an dem, daß der Kaiſer einen Feldzug gegen
ſeine Feinde unternehmen wollte. Ein einſames
Licht brannte in der vaͤterlichen Wohnung als ich
herein trat; eine druͤckende Beklemmung lag auf
meiner Bruſt. Auf mein Anklopfen kommt mir
mein Vater ſelbſt mit leiſem bedaͤchtigen Schritte
entgegen; ſogleich erinnerte ich mich des alten Trau-
mes aus meinen Kinderjahren, und fuͤhle mit innig-
ſter Bewegung, daß es daſſelbe ſey, was ich nun
erlebe. Ich bin beſtuͤrzt, ich frage: Warum, Va-
ter, ſeid Ihr ſo ſpaͤt noch auf? Er fuͤhrt mich
hinein und ſpricht: Ich muß wohl wachen, denn
deine Mutter iſt ja nun auch todt.

Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele.
Er ſetzte ſich bedaͤchtig nieder, ich mich an ſeine
Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war
mit Tuͤchern ſeltſam zugehaͤngt. Mein Herz wollte
zerſpringen. Ich halte Wache, ſprach der Alte,
denn meine Gattin ſitzt noch immer neben mir.
Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen
in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0241" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
und den Grabge&#x017F;ang der Nonnen. Ich fragte:<lb/>
man &#x017F;agte mir, daß Fra&#x0364;ulein Emma aus Gram<lb/>
u&#x0364;ber den Tod ihres Bra&#x0364;utigams ge&#x017F;torben &#x017F;ei.</p><lb/>
            <p>Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich<lb/>
lebe, ob alles Wahrheit &#x017F;ey. Ich eilte zuru&#x0364;ck zu<lb/>
meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;t in die Stadt, in der &#x017F;ie wohnten. Alles war<lb/>
in Unruhe, Pferde und Ru&#x0364;&#x017F;twagen erfu&#x0364;llten die<lb/>
Straßen, Lanzenknechte tummelten &#x017F;ich durchein-<lb/>
ander und &#x017F;prachen in verwirrten Reden: es war<lb/>
gerade an dem, daß der Kai&#x017F;er einen Feldzug gegen<lb/>
&#x017F;eine Feinde unternehmen wollte. Ein ein&#x017F;ames<lb/>
Licht brannte in der va&#x0364;terlichen Wohnung als ich<lb/>
herein trat; eine dru&#x0364;ckende Beklemmung lag auf<lb/>
meiner Bru&#x017F;t. Auf mein Anklopfen kommt mir<lb/>
mein Vater &#x017F;elb&#x017F;t mit lei&#x017F;em beda&#x0364;chtigen Schritte<lb/>
entgegen; &#x017F;ogleich erinnerte ich mich des alten Trau-<lb/>
mes aus meinen Kinderjahren, und fu&#x0364;hle mit innig-<lb/>
&#x017F;ter Bewegung, daß es da&#x017F;&#x017F;elbe &#x017F;ey, was ich nun<lb/>
erlebe. Ich bin be&#x017F;tu&#x0364;rzt, ich frage: Warum, Va-<lb/>
ter, &#x017F;eid Ihr &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;t noch auf? Er fu&#x0364;hrt mich<lb/>
hinein und &#x017F;pricht: Ich muß wohl wachen, denn<lb/>
deine Mutter i&#x017F;t ja nun auch todt.</p><lb/>
            <p>Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele.<lb/>
Er &#x017F;etzte &#x017F;ich beda&#x0364;chtig nieder, ich mich an &#x017F;eine<lb/>
Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war<lb/>
mit Tu&#x0364;chern &#x017F;elt&#x017F;am zugeha&#x0364;ngt. Mein Herz wollte<lb/>
zer&#x017F;pringen. Ich halte Wache, &#x017F;prach der Alte,<lb/>
denn meine Gattin &#x017F;itzt noch immer neben mir.<lb/>
Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen<lb/>
in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0241] Erſte Abtheilung. und den Grabgeſang der Nonnen. Ich fragte: man ſagte mir, daß Fraͤulein Emma aus Gram uͤber den Tod ihres Braͤutigams geſtorben ſei. Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich lebe, ob alles Wahrheit ſey. Ich eilte zuruͤck zu meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht ſpaͤt in die Stadt, in der ſie wohnten. Alles war in Unruhe, Pferde und Ruͤſtwagen erfuͤllten die Straßen, Lanzenknechte tummelten ſich durchein- ander und ſprachen in verwirrten Reden: es war gerade an dem, daß der Kaiſer einen Feldzug gegen ſeine Feinde unternehmen wollte. Ein einſames Licht brannte in der vaͤterlichen Wohnung als ich herein trat; eine druͤckende Beklemmung lag auf meiner Bruſt. Auf mein Anklopfen kommt mir mein Vater ſelbſt mit leiſem bedaͤchtigen Schritte entgegen; ſogleich erinnerte ich mich des alten Trau- mes aus meinen Kinderjahren, und fuͤhle mit innig- ſter Bewegung, daß es daſſelbe ſey, was ich nun erlebe. Ich bin beſtuͤrzt, ich frage: Warum, Va- ter, ſeid Ihr ſo ſpaͤt noch auf? Er fuͤhrt mich hinein und ſpricht: Ich muß wohl wachen, denn deine Mutter iſt ja nun auch todt. Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele. Er ſetzte ſich bedaͤchtig nieder, ich mich an ſeine Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war mit Tuͤchern ſeltſam zugehaͤngt. Mein Herz wollte zerſpringen. Ich halte Wache, ſprach der Alte, denn meine Gattin ſitzt noch immer neben mir. Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/241
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/241>, abgerufen am 22.11.2024.