Alte, denn die Sache ist jetzt eben so bekannt, als sie wahrhaftig ist. In diesen Berg haben sich die Teufel hinein geflüchtet und sich in den wüsten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwach- sende heilige Christenthum den heidnischen Götzen- dienst stürzte. Hier, sagt man nun, solle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre höl- lischen Heerscharen der weltlichen Lüste und ver- botenen Wünsche um sich versammeln, so daß das Gebirge auch verflucht seit undenklichen Zeiten ge- legen hat.
Doch nach welcher Gegend liegt der Berg? fragte Eckart.
Das ist das Geheimniß, sprach der Alte, daß dieses Niemand zu sagen weiß, als der sich schon dem Satan zu eigen gegeben, es fällt auch keinem Unschuldigen ein, ihn aufsuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderseltner Art ist plötzlich von unten hervor gekommen, den die Höllischen als ihren Abgesandten ausgeschickt haben, dieser durch- zieht die Welt, und spielt und musizirt auf einer Pfeifen, daß die Töne weit in den Gegenden wie- der klingen. Wer nun diese Klänge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklärlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß ge- trieben, er sieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht müde, seine Kräfte nehmen zu wie seine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, so rennt er rasend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Rückweg wie- der. Diese Macht ist der Hölle jetzt zurück gege-
Der getreue Eckart.
Alte, denn die Sache iſt jetzt eben ſo bekannt, als ſie wahrhaftig iſt. In dieſen Berg haben ſich die Teufel hinein gefluͤchtet und ſich in den wuͤſten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwach- ſende heilige Chriſtenthum den heidniſchen Goͤtzen- dienſt ſtuͤrzte. Hier, ſagt man nun, ſolle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre hoͤl- liſchen Heerſcharen der weltlichen Luͤſte und ver- botenen Wuͤnſche um ſich verſammeln, ſo daß das Gebirge auch verflucht ſeit undenklichen Zeiten ge- legen hat.
Doch nach welcher Gegend liegt der Berg? fragte Eckart.
Das iſt das Geheimniß, ſprach der Alte, daß dieſes Niemand zu ſagen weiß, als der ſich ſchon dem Satan zu eigen gegeben, es faͤllt auch keinem Unſchuldigen ein, ihn aufſuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderſeltner Art iſt ploͤtzlich von unten hervor gekommen, den die Hoͤlliſchen als ihren Abgeſandten ausgeſchickt haben, dieſer durch- zieht die Welt, und ſpielt und muſizirt auf einer Pfeifen, daß die Toͤne weit in den Gegenden wie- der klingen. Wer nun dieſe Klaͤnge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklaͤrlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß ge- trieben, er ſieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht muͤde, ſeine Kraͤfte nehmen zu wie ſeine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, ſo rennt er raſend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Ruͤckweg wie- der. Dieſe Macht iſt der Hoͤlle jetzt zuruͤck gege-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0216"n="205"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Der getreue Eckart</hi>.</fw><lb/>
Alte, denn die Sache iſt jetzt eben ſo bekannt, als<lb/>ſie wahrhaftig iſt. In dieſen Berg haben ſich die<lb/>
Teufel hinein gefluͤchtet und ſich in den wuͤſten<lb/>
Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwach-<lb/>ſende heilige Chriſtenthum den heidniſchen Goͤtzen-<lb/>
dienſt ſtuͤrzte. Hier, ſagt man nun, ſolle vor<lb/>
allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre hoͤl-<lb/>
liſchen Heerſcharen der weltlichen Luͤſte und ver-<lb/>
botenen Wuͤnſche um ſich verſammeln, ſo daß das<lb/>
Gebirge auch verflucht ſeit undenklichen Zeiten ge-<lb/>
legen hat.</p><lb/><p>Doch nach welcher Gegend liegt der Berg?<lb/>
fragte Eckart.</p><lb/><p>Das iſt das Geheimniß, ſprach der Alte, daß<lb/>
dieſes Niemand zu ſagen weiß, als der ſich ſchon<lb/>
dem Satan zu eigen gegeben, es faͤllt auch keinem<lb/>
Unſchuldigen ein, ihn aufſuchen zu wollen. Ein<lb/>
Spielmann von wunderſeltner Art iſt ploͤtzlich von<lb/>
unten hervor gekommen, den die Hoͤlliſchen als<lb/>
ihren Abgeſandten ausgeſchickt haben, dieſer durch-<lb/>
zieht die Welt, und ſpielt und muſizirt auf einer<lb/>
Pfeifen, daß die Toͤne weit in den Gegenden wie-<lb/>
der klingen. Wer nun dieſe Klaͤnge vernimmt, der<lb/>
wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklaͤrlicher<lb/>
Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß ge-<lb/>
trieben, er ſieht den Weg nicht, den er geht, er<lb/>
wandert und wandert und wird nicht muͤde, ſeine<lb/>
Kraͤfte nehmen zu wie ſeine Eile, keine Macht<lb/>
kann ihn aufhalten, ſo rennt er raſend in den Berg<lb/>
hinein, und findet ewig niemals den Ruͤckweg wie-<lb/>
der. Dieſe Macht iſt der Hoͤlle jetzt zuruͤck gege-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[205/0216]
Der getreue Eckart.
Alte, denn die Sache iſt jetzt eben ſo bekannt, als
ſie wahrhaftig iſt. In dieſen Berg haben ſich die
Teufel hinein gefluͤchtet und ſich in den wuͤſten
Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwach-
ſende heilige Chriſtenthum den heidniſchen Goͤtzen-
dienſt ſtuͤrzte. Hier, ſagt man nun, ſolle vor
allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre hoͤl-
liſchen Heerſcharen der weltlichen Luͤſte und ver-
botenen Wuͤnſche um ſich verſammeln, ſo daß das
Gebirge auch verflucht ſeit undenklichen Zeiten ge-
legen hat.
Doch nach welcher Gegend liegt der Berg?
fragte Eckart.
Das iſt das Geheimniß, ſprach der Alte, daß
dieſes Niemand zu ſagen weiß, als der ſich ſchon
dem Satan zu eigen gegeben, es faͤllt auch keinem
Unſchuldigen ein, ihn aufſuchen zu wollen. Ein
Spielmann von wunderſeltner Art iſt ploͤtzlich von
unten hervor gekommen, den die Hoͤlliſchen als
ihren Abgeſandten ausgeſchickt haben, dieſer durch-
zieht die Welt, und ſpielt und muſizirt auf einer
Pfeifen, daß die Toͤne weit in den Gegenden wie-
der klingen. Wer nun dieſe Klaͤnge vernimmt, der
wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklaͤrlicher
Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß ge-
trieben, er ſieht den Weg nicht, den er geht, er
wandert und wandert und wird nicht muͤde, ſeine
Kraͤfte nehmen zu wie ſeine Eile, keine Macht
kann ihn aufhalten, ſo rennt er raſend in den Berg
hinein, und findet ewig niemals den Ruͤckweg wie-
der. Dieſe Macht iſt der Hoͤlle jetzt zuruͤck gege-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/216>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.