Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
ben, und von entgegenesetzter Richtung wandeln
nun die unglückseligen verkehrten Pilgrimme hin,
wo keine Rettung zu erwarten steht. Ich hatte
an meinen beiden Söhnen schon seit lange keine
Freude mehr erlebt, sie waren wüst und ohne Sit-
ten, sie verachteten so Eltern wie Religion; nun
hat sie der Klang ergriffen und angefaßt, sie sind
davon und in die Weite, die Welt ist ihnen zu
enge, und sie suchen in der Hölle Raum.

Und was denkt Ihr bei diesen Dingen zu
thun? fragte Eckart.

Mit dieser Krücke habe ich mich aufgemacht,
antwortete der Alte, um die Welt zu durchstreifen,
sie wieder zu finden, oder vor Müdigkeit und Gram
zu sterben.

Mit diesen Worten riß er sich mit großer An-
strengung aus seiner Ruhe auf, und eilte fort so
schnell er nur konnte, als wenn er sein Liebstes
auf der Welt versäumen möchte, und Eckart sah
mit Bedauern seiner unnützen Bemühung nach, und
achtete ihn in seinen Gedanken für wahnwitzig. --

Es war Nacht geworden und wurde Tag, und
Conrad kam nicht zurück, da irrte Eckart durch
das Gebirge und wandte seine sehnenden Augen
nach dem Schlosse, aber er ersah ihn nicht. Ein
Getümmel zog aus der Burg daher, da trachtete
er nicht mehr, sich zu verbergen, sondern er be-
stieg sein Roß, das frei weidete, und ritt in die
Schaar hinein, die frölich und guter Dinge über
das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er-

Erſte Abtheilung.
ben, und von entgegeneſetzter Richtung wandeln
nun die ungluͤckſeligen verkehrten Pilgrimme hin,
wo keine Rettung zu erwarten ſteht. Ich hatte
an meinen beiden Soͤhnen ſchon ſeit lange keine
Freude mehr erlebt, ſie waren wuͤſt und ohne Sit-
ten, ſie verachteten ſo Eltern wie Religion; nun
hat ſie der Klang ergriffen und angefaßt, ſie ſind
davon und in die Weite, die Welt iſt ihnen zu
enge, und ſie ſuchen in der Hoͤlle Raum.

Und was denkt Ihr bei dieſen Dingen zu
thun? fragte Eckart.

Mit dieſer Kruͤcke habe ich mich aufgemacht,
antwortete der Alte, um die Welt zu durchſtreifen,
ſie wieder zu finden, oder vor Muͤdigkeit und Gram
zu ſterben.

Mit dieſen Worten riß er ſich mit großer An-
ſtrengung aus ſeiner Ruhe auf, und eilte fort ſo
ſchnell er nur konnte, als wenn er ſein Liebſtes
auf der Welt verſaͤumen moͤchte, und Eckart ſah
mit Bedauern ſeiner unnuͤtzen Bemuͤhung nach, und
achtete ihn in ſeinen Gedanken fuͤr wahnwitzig. —

Es war Nacht geworden und wurde Tag, und
Conrad kam nicht zuruͤck, da irrte Eckart durch
das Gebirge und wandte ſeine ſehnenden Augen
nach dem Schloſſe, aber er erſah ihn nicht. Ein
Getuͤmmel zog aus der Burg daher, da trachtete
er nicht mehr, ſich zu verbergen, ſondern er be-
ſtieg ſein Roß, das frei weidete, und ritt in die
Schaar hinein, die froͤlich und guter Dinge uͤber
das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0217" n="206"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
ben, und von entgegene&#x017F;etzter Richtung wandeln<lb/>
nun die unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen verkehrten Pilgrimme hin,<lb/>
wo keine Rettung zu erwarten &#x017F;teht. Ich hatte<lb/>
an meinen beiden So&#x0364;hnen &#x017F;chon &#x017F;eit lange keine<lb/>
Freude mehr erlebt, &#x017F;ie waren wu&#x0364;&#x017F;t und ohne Sit-<lb/>
ten, &#x017F;ie verachteten &#x017F;o Eltern wie Religion; nun<lb/>
hat &#x017F;ie der Klang ergriffen und angefaßt, &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
davon und in die Weite, die Welt i&#x017F;t ihnen zu<lb/>
enge, und &#x017F;ie &#x017F;uchen in der Ho&#x0364;lle Raum.</p><lb/>
            <p>Und was denkt Ihr bei die&#x017F;en Dingen zu<lb/>
thun? fragte Eckart.</p><lb/>
            <p>Mit die&#x017F;er Kru&#x0364;cke habe ich mich aufgemacht,<lb/>
antwortete der Alte, um die Welt zu durch&#x017F;treifen,<lb/>
&#x017F;ie wieder zu finden, oder vor Mu&#x0364;digkeit und Gram<lb/>
zu &#x017F;terben.</p><lb/>
            <p>Mit die&#x017F;en Worten riß er &#x017F;ich mit großer An-<lb/>
&#x017F;trengung aus &#x017F;einer Ruhe auf, und eilte fort &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chnell er nur konnte, als wenn er &#x017F;ein Lieb&#x017F;tes<lb/>
auf der Welt ver&#x017F;a&#x0364;umen mo&#x0364;chte, und Eckart &#x017F;ah<lb/>
mit Bedauern &#x017F;einer unnu&#x0364;tzen Bemu&#x0364;hung nach, und<lb/>
achtete ihn in &#x017F;einen Gedanken fu&#x0364;r wahnwitzig. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Es war Nacht geworden und wurde Tag, und<lb/>
Conrad kam nicht zuru&#x0364;ck, da irrte Eckart durch<lb/>
das Gebirge und wandte &#x017F;eine &#x017F;ehnenden Augen<lb/>
nach dem Schlo&#x017F;&#x017F;e, aber er er&#x017F;ah ihn nicht. Ein<lb/>
Getu&#x0364;mmel zog aus der Burg daher, da trachtete<lb/>
er nicht mehr, &#x017F;ich zu verbergen, &#x017F;ondern er be-<lb/>
&#x017F;tieg &#x017F;ein Roß, das frei weidete, und ritt in die<lb/>
Schaar hinein, die fro&#x0364;lich und guter Dinge u&#x0364;ber<lb/>
das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0217] Erſte Abtheilung. ben, und von entgegeneſetzter Richtung wandeln nun die ungluͤckſeligen verkehrten Pilgrimme hin, wo keine Rettung zu erwarten ſteht. Ich hatte an meinen beiden Soͤhnen ſchon ſeit lange keine Freude mehr erlebt, ſie waren wuͤſt und ohne Sit- ten, ſie verachteten ſo Eltern wie Religion; nun hat ſie der Klang ergriffen und angefaßt, ſie ſind davon und in die Weite, die Welt iſt ihnen zu enge, und ſie ſuchen in der Hoͤlle Raum. Und was denkt Ihr bei dieſen Dingen zu thun? fragte Eckart. Mit dieſer Kruͤcke habe ich mich aufgemacht, antwortete der Alte, um die Welt zu durchſtreifen, ſie wieder zu finden, oder vor Muͤdigkeit und Gram zu ſterben. Mit dieſen Worten riß er ſich mit großer An- ſtrengung aus ſeiner Ruhe auf, und eilte fort ſo ſchnell er nur konnte, als wenn er ſein Liebſtes auf der Welt verſaͤumen moͤchte, und Eckart ſah mit Bedauern ſeiner unnuͤtzen Bemuͤhung nach, und achtete ihn in ſeinen Gedanken fuͤr wahnwitzig. — Es war Nacht geworden und wurde Tag, und Conrad kam nicht zuruͤck, da irrte Eckart durch das Gebirge und wandte ſeine ſehnenden Augen nach dem Schloſſe, aber er erſah ihn nicht. Ein Getuͤmmel zog aus der Burg daher, da trachtete er nicht mehr, ſich zu verbergen, ſondern er be- ſtieg ſein Roß, das frei weidete, und ritt in die Schaar hinein, die froͤlich und guter Dinge uͤber das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/217
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/217>, abgerufen am 19.05.2024.