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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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wieder um, als wenn er etwas vergessen hätte,
dann ging er wieder, und eine große Thräne
preßte sich in mein Auge, eine Angst drängte
fürchterlich aus der Brust zur Kehle hinauf;
mir war, als wenn ich ersticken sollte. Ich ging
einige Schritte und suchte durch meinen lauten
Gang mein Schluchzen zu übertönen. -- Ich
sah zurück, er hatte die Laterne schon ausge-
löscht, damit ich ihn nur desto früher aus dem
Gesichte verlieren möchte.

Was empfand ich in diesem Augenblicke! --
Rosa, Sie können es nicht begreifen. -- Ich ha-
be ihn noch vor einigen Jahren so innig geliebt,
ich glaubte damals, daß es ihm eine Kleinigkeit
sey, sein Leben für mich zu versprützen -- und
jetzt, in dieser Stunde meines Lebens, in der
er wußte, daß er mich nie wiedersehen würde,
jetzt ließ er mich gehen, ohne ein Wort zum
Abschiede zu sagen, ohne meine Hand zu neh-
men, ohne ein Lebewohl! Ich habe ihm so oft
die Hand gedrückt, ohne daß er es verdiente,
er hätte es ja wohl auch jetzt thun können, und
wenn es auch nur Verstellung gewesen wäre.

Doch besser, daß es nicht geschehen ist. Ich
war zu weich; hätt' er nur ein gutes Wort ge-

wieder um, als wenn er etwas vergeſſen haͤtte,
dann ging er wieder, und eine große Thraͤne
preßte ſich in mein Auge, eine Angſt draͤngte
fuͤrchterlich aus der Bruſt zur Kehle hinauf;
mir war, als wenn ich erſticken ſollte. Ich ging
einige Schritte und ſuchte durch meinen lauten
Gang mein Schluchzen zu uͤbertoͤnen. — Ich
ſah zuruͤck, er hatte die Laterne ſchon ausge-
loͤſcht, damit ich ihn nur deſto fruͤher aus dem
Geſichte verlieren moͤchte.

Was empfand ich in dieſem Augenblicke! —
Roſa, Sie koͤnnen es nicht begreifen. — Ich ha-
be ihn noch vor einigen Jahren ſo innig geliebt,
ich glaubte damals, daß es ihm eine Kleinigkeit
ſey, ſein Leben fuͤr mich zu verſpruͤtzen — und
jetzt, in dieſer Stunde meines Lebens, in der
er wußte, daß er mich nie wiederſehen wuͤrde,
jetzt ließ er mich gehen, ohne ein Wort zum
Abſchiede zu ſagen, ohne meine Hand zu neh-
men, ohne ein Lebewohl! Ich habe ihm ſo oft
die Hand gedruͤckt, ohne daß er es verdiente,
er haͤtte es ja wohl auch jetzt thun koͤnnen, und
wenn es auch nur Verſtellung geweſen waͤre.

Doch beſſer, daß es nicht geſchehen iſt. Ich
war zu weich; haͤtt' er nur ein gutes Wort ge-

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[90/0097] wieder um, als wenn er etwas vergeſſen haͤtte, dann ging er wieder, und eine große Thraͤne preßte ſich in mein Auge, eine Angſt draͤngte fuͤrchterlich aus der Bruſt zur Kehle hinauf; mir war, als wenn ich erſticken ſollte. Ich ging einige Schritte und ſuchte durch meinen lauten Gang mein Schluchzen zu uͤbertoͤnen. — Ich ſah zuruͤck, er hatte die Laterne ſchon ausge- loͤſcht, damit ich ihn nur deſto fruͤher aus dem Geſichte verlieren moͤchte. Was empfand ich in dieſem Augenblicke! — Roſa, Sie koͤnnen es nicht begreifen. — Ich ha- be ihn noch vor einigen Jahren ſo innig geliebt, ich glaubte damals, daß es ihm eine Kleinigkeit ſey, ſein Leben fuͤr mich zu verſpruͤtzen — und jetzt, in dieſer Stunde meines Lebens, in der er wußte, daß er mich nie wiederſehen wuͤrde, jetzt ließ er mich gehen, ohne ein Wort zum Abſchiede zu ſagen, ohne meine Hand zu neh- men, ohne ein Lebewohl! Ich habe ihm ſo oft die Hand gedruͤckt, ohne daß er es verdiente, er haͤtte es ja wohl auch jetzt thun koͤnnen, und wenn es auch nur Verſtellung geweſen waͤre. Doch beſſer, daß es nicht geſchehen iſt. Ich war zu weich; haͤtt' er nur ein gutes Wort ge-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/97>, abgerufen am 27.11.2024.