Ich lag auf der feuchten Erde, und streck- te mich ganz aus, ich verbarg mein heißes Ge- sicht in dem nassen Grase. Ich schlief beynahe ein.
Kalt und ohne Besinnung suchte ich dann den Rückweg. Wie ein großes eisernes Ge- fängniß, hing der dunkle Himmel um mich her.
In meinem Zimmer sitze ich nun hier, und die Morgenröthe bricht schon hervor. Lovell sieht sie jetzt auch, und unsere trüben Gedanken begegnen sich vielleicht.
Ach Freund, mich quält eine gewaltige Unruhe; -- habe ich nicht dem Armen zu viel gethan? -- Bin ich nicht verführt worden, schon seinen letzten Brief an mich zu ernsthaft zu nehmen? -- Warum habe ich ihn nicht so wie die vorigen beantwortet? Alles wäre dann vielleicht anders geworden. -- Ich war viel zu sehr von mir eingegommen, und darum verletz- te dieser Brief meine Eitelkeit. Ich konnte nicht wissen in welcher Stimmung er geschrie- ben war; und doch war ich meiner Sache so gewiß, daß ich anfing, Lovell perlohren zu ge-
Ich lag auf der feuchten Erde, und ſtreck- te mich ganz aus, ich verbarg mein heißes Ge- ſicht in dem naſſen Graſe. Ich ſchlief beynahe ein.
Kalt und ohne Beſinnung ſuchte ich dann den Ruͤckweg. Wie ein großes eiſernes Ge- faͤngniß, hing der dunkle Himmel um mich her.
In meinem Zimmer ſitze ich nun hier, und die Morgenroͤthe bricht ſchon hervor. Lovell ſieht ſie jetzt auch, und unſere truͤben Gedanken begegnen ſich vielleicht.
Ach Freund, mich quaͤlt eine gewaltige Unruhe; — habe ich nicht dem Armen zu viel gethan? — Bin ich nicht verfuͤhrt worden, ſchon ſeinen letzten Brief an mich zu ernſthaft zu nehmen? — Warum habe ich ihn nicht ſo wie die vorigen beantwortet? Alles waͤre dann vielleicht anders geworden. — Ich war viel zu ſehr von mir eingegommen, und darum verletz- te dieſer Brief meine Eitelkeit. Ich konnte nicht wiſſen in welcher Stimmung er geſchrie- ben war; und doch war ich meiner Sache ſo gewiß, daß ich anfing, Lovell perlohren zu ge-
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Ich lag auf der feuchten Erde, und ſtreck-
te mich ganz aus, ich verbarg mein heißes Ge-
ſicht in dem naſſen Graſe. Ich ſchlief beynahe
ein.
Kalt und ohne Beſinnung ſuchte ich dann
den Ruͤckweg. Wie ein großes eiſernes Ge-
faͤngniß, hing der dunkle Himmel um mich
her.
In meinem Zimmer ſitze ich nun hier, und
die Morgenroͤthe bricht ſchon hervor. Lovell
ſieht ſie jetzt auch, und unſere truͤben Gedanken
begegnen ſich vielleicht.
Ach Freund, mich quaͤlt eine gewaltige
Unruhe; — habe ich nicht dem Armen zu viel
gethan? — Bin ich nicht verfuͤhrt worden,
ſchon ſeinen letzten Brief an mich zu ernſthaft
zu nehmen? — Warum habe ich ihn nicht ſo
wie die vorigen beantwortet? Alles waͤre dann
vielleicht anders geworden. — Ich war viel zu
ſehr von mir eingegommen, und darum verletz-
te dieſer Brief meine Eitelkeit. Ich konnte
nicht wiſſen in welcher Stimmung er geſchrie-
ben war; und doch war ich meiner Sache ſo
gewiß, daß ich anfing, Lovell perlohren zu ge-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/79>, abgerufen am 30.04.2024.
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