ohne an alle die Rücksichten zu denken, die der klügere Mensch nie aus den Augen verlieren wird. Ich sprach alles, was mir in den Sinn kam, und machte mich besonders durch abge- schmackte Anekdoten sehr beliebt; der wahre Witz wird in Gesellschaften selten geachtet und verstanden, die meisten Leute haben immer nur die Vorstädte des Verstandes und des Witzes kennen gelernt, sie behalten daher Zeitlebens ihre kleinstädtischen, entfernten Begriffe von diesen Vortreflichkeiten. Durch den allgemei- nen Beyfall, dessen ich genoß, ließ ich mich verleiten; immer witziger zu werden, ich fand Behagen an mir selbst, und setzte am Ende in meine Armseeligkeiten einen eben so hohen Werth, als es die übrigen Menschen thaten. Man wird meistentheils durch den Umgang ein- fältiger und eitler, selten klüger und besser. Ich hatte damals überhaupt gerade soviel Ver- stand und Erfahrung, um mich sehr dumm zu betragen, der ganz Einfältige geht einen weit bessern und sicherern Weg, als der Mensch, dessen Klugheit im Wachsthume ist; die einzig schädliche Dummheit ist jene halbe Klugheit, die sich allenthalben zurecht finden will, alles
ohne an alle die Ruͤckſichten zu denken, die der kluͤgere Menſch nie aus den Augen verlieren wird. Ich ſprach alles, was mir in den Sinn kam, und machte mich beſonders durch abge- ſchmackte Anekdoten ſehr beliebt; der wahre Witz wird in Geſellſchaften ſelten geachtet und verſtanden, die meiſten Leute haben immer nur die Vorſtaͤdte des Verſtandes und des Witzes kennen gelernt, ſie behalten daher Zeitlebens ihre kleinſtaͤdtiſchen, entfernten Begriffe von dieſen Vortreflichkeiten. Durch den allgemei- nen Beyfall, deſſen ich genoß, ließ ich mich verleiten; immer witziger zu werden, ich fand Behagen an mir ſelbſt, und ſetzte am Ende in meine Armſeeligkeiten einen eben ſo hohen Werth, als es die uͤbrigen Menſchen thaten. Man wird meiſtentheils durch den Umgang ein- faͤltiger und eitler, ſelten kluͤger und beſſer. Ich hatte damals uͤberhaupt gerade ſoviel Ver- ſtand und Erfahrung, um mich ſehr dumm zu betragen, der ganz Einfaͤltige geht einen weit beſſern und ſicherern Weg, als der Menſch, deſſen Klugheit im Wachsthume iſt; die einzig ſchaͤdliche Dummheit iſt jene halbe Klugheit, die ſich allenthalben zurecht finden will, alles
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ohne an alle die Ruͤckſichten zu denken, die der
kluͤgere Menſch nie aus den Augen verlieren
wird. Ich ſprach alles, was mir in den Sinn
kam, und machte mich beſonders durch abge-
ſchmackte Anekdoten ſehr beliebt; der wahre
Witz wird in Geſellſchaften ſelten geachtet und
verſtanden, die meiſten Leute haben immer nur
die Vorſtaͤdte des Verſtandes und des Witzes
kennen gelernt, ſie behalten daher Zeitlebens
ihre kleinſtaͤdtiſchen, entfernten Begriffe von
dieſen Vortreflichkeiten. Durch den allgemei-
nen Beyfall, deſſen ich genoß, ließ ich mich
verleiten; immer witziger zu werden, ich fand
Behagen an mir ſelbſt, und ſetzte am Ende in
meine Armſeeligkeiten einen eben ſo hohen
Werth, als es die uͤbrigen Menſchen thaten.
Man wird meiſtentheils durch den Umgang ein-
faͤltiger und eitler, ſelten kluͤger und beſſer.
Ich hatte damals uͤberhaupt gerade ſoviel Ver-
ſtand und Erfahrung, um mich ſehr dumm zu
betragen, der ganz Einfaͤltige geht einen weit
beſſern und ſicherern Weg, als der Menſch,
deſſen Klugheit im Wachsthume iſt; die einzig
ſchaͤdliche Dummheit iſt jene halbe Klugheit,
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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