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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Meine ehemalige Geliebte traf ich als eine
zänkische, eigensinnige Hausfrau wieder, selbst
in ihrer Gestalt waren nur wenige Spuren
ihrer sonstigen Liebenswürdigkeit zurückgeblieben.
Wir gingen mit einander um, wie alle übrigen
Menschen mit einander sprechen, und alle meine
jugendlichen Empfindungen für sie erschienen
mir schaal und abgestanden, alle Festtage waren
für mich im menschlichen Leben ausgestrichen,
und mein Blick verlor sich in der unabsehlichen
Folge der alltäglichen Stunden und Vorfälle,
von keinem Gefühle aufgeputzt, von keiner
Schwärmerey beglänzt. Wie albern erschien
mir jetzt die Erinnerung meines ehemaligen
Lebens und meiner jugendlichen Gefühle! Ich
trat unter dem Haufen der Menschen, und be-
trachtete jedes Gesicht mit einem kalten Blicke:
keiner ging mein Herz näher an, als der
andre.

Ich erhielt bald in vielen Häusern Zutritt,
weil ich, ich weiß nicht durch welchen Zufall,
den Namen eines witzigen Kopfes bekommen
hatte. Man ist sehr oft in der Welt witzig,
wenn man auf eine gewisse Art einfältig ist,
wenn man jeden Einfall und Gedanken wagt,

Meine ehemalige Geliebte traf ich als eine
zaͤnkiſche, eigenſinnige Hausfrau wieder, ſelbſt
in ihrer Geſtalt waren nur wenige Spuren
ihrer ſonſtigen Liebenswuͤrdigkeit zuruͤckgeblieben.
Wir gingen mit einander um, wie alle uͤbrigen
Menſchen mit einander ſprechen, und alle meine
jugendlichen Empfindungen fuͤr ſie erſchienen
mir ſchaal und abgeſtanden, alle Feſttage waren
fuͤr mich im menſchlichen Leben ausgeſtrichen,
und mein Blick verlor ſich in der unabſehlichen
Folge der alltaͤglichen Stunden und Vorfaͤlle,
von keinem Gefuͤhle aufgeputzt, von keiner
Schwaͤrmerey beglaͤnzt. Wie albern erſchien
mir jetzt die Erinnerung meines ehemaligen
Lebens und meiner jugendlichen Gefuͤhle! Ich
trat unter dem Haufen der Menſchen, und be-
trachtete jedes Geſicht mit einem kalten Blicke:
keiner ging mein Herz naͤher an, als der
andre.

Ich erhielt bald in vielen Haͤuſern Zutritt,
weil ich, ich weiß nicht durch welchen Zufall,
den Namen eines witzigen Kopfes bekommen
hatte. Man iſt ſehr oft in der Welt witzig,
wenn man auf eine gewiſſe Art einfaͤltig iſt,
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[421/0428] Meine ehemalige Geliebte traf ich als eine zaͤnkiſche, eigenſinnige Hausfrau wieder, ſelbſt in ihrer Geſtalt waren nur wenige Spuren ihrer ſonſtigen Liebenswuͤrdigkeit zuruͤckgeblieben. Wir gingen mit einander um, wie alle uͤbrigen Menſchen mit einander ſprechen, und alle meine jugendlichen Empfindungen fuͤr ſie erſchienen mir ſchaal und abgeſtanden, alle Feſttage waren fuͤr mich im menſchlichen Leben ausgeſtrichen, und mein Blick verlor ſich in der unabſehlichen Folge der alltaͤglichen Stunden und Vorfaͤlle, von keinem Gefuͤhle aufgeputzt, von keiner Schwaͤrmerey beglaͤnzt. Wie albern erſchien mir jetzt die Erinnerung meines ehemaligen Lebens und meiner jugendlichen Gefuͤhle! Ich trat unter dem Haufen der Menſchen, und be- trachtete jedes Geſicht mit einem kalten Blicke: keiner ging mein Herz naͤher an, als der andre. Ich erhielt bald in vielen Haͤuſern Zutritt, weil ich, ich weiß nicht durch welchen Zufall, den Namen eines witzigen Kopfes bekommen hatte. Man iſt ſehr oft in der Welt witzig, wenn man auf eine gewiſſe Art einfaͤltig iſt, wenn man jeden Einfall und Gedanken wagt,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/428>, abgerufen am 18.05.2024.