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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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nehm macht, waren sie entblößt, sie mußten
sich unter Schimpf und Verfolgung von einem
Tage zum andern hinüberbetteln, sie wurden
von Noth und Mangel erdrückt und dennoch
sahen sie dem näherschreitenden Tode mit einer
bleichen Wange entgegen. -- Ich kann es
nicht begreifen und würde es in einer Erzäh-
lung nicht glauben.


Nein, ich muß mir vor mir selber endlich
Ruhe schaffen. -- Soll mir alles nur dräuen
und kein Wesen liebevoll die Hand nach mir
ausstrecken? Ist für mich der Name Freund-
schaft und Wohlwollen todt? -- Und wenn der
Himmel noch lauter zürnte, so will ich mich
dennoch nicht entsetzen. In einer noch höhern
Wildheit, im stürmendsten Wahnsinne will ich
einen Zufluchtsort suchen und mich dort gegen
alles verschanzen! Ich will so lange trinken bis
mir Sinne, Athem und Bewußtseyn entgehn,
und so als ein taumelnder Schatten zum Orkus
wandern, damit mir dort alles noch seltsamer
und unbegreiflicher erscheine.

Hoch möcht' ich mit den Stürmen durch

nehm macht, waren ſie entbloͤßt, ſie mußten
ſich unter Schimpf und Verfolgung von einem
Tage zum andern hinuͤberbetteln, ſie wurden
von Noth und Mangel erdruͤckt und dennoch
ſahen ſie dem naͤherſchreitenden Tode mit einer
bleichen Wange entgegen. — Ich kann es
nicht begreifen und wuͤrde es in einer Erzaͤh-
lung nicht glauben.


Nein, ich muß mir vor mir ſelber endlich
Ruhe ſchaffen. — Soll mir alles nur draͤuen
und kein Weſen liebevoll die Hand nach mir
ausſtrecken? Iſt fuͤr mich der Name Freund-
ſchaft und Wohlwollen todt? — Und wenn der
Himmel noch lauter zuͤrnte, ſo will ich mich
dennoch nicht entſetzen. In einer noch hoͤhern
Wildheit, im ſtuͤrmendſten Wahnſinne will ich
einen Zufluchtsort ſuchen und mich dort gegen
alles verſchanzen! Ich will ſo lange trinken bis
mir Sinne, Athem und Bewußtſeyn entgehn,
und ſo als ein taumelnder Schatten zum Orkus
wandern, damit mir dort alles noch ſeltſamer
und unbegreiflicher erſcheine.

Hoch moͤcht' ich mit den Stuͤrmen durch

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[293/0300] nehm macht, waren ſie entbloͤßt, ſie mußten ſich unter Schimpf und Verfolgung von einem Tage zum andern hinuͤberbetteln, ſie wurden von Noth und Mangel erdruͤckt und dennoch ſahen ſie dem naͤherſchreitenden Tode mit einer bleichen Wange entgegen. — Ich kann es nicht begreifen und wuͤrde es in einer Erzaͤh- lung nicht glauben. Nein, ich muß mir vor mir ſelber endlich Ruhe ſchaffen. — Soll mir alles nur draͤuen und kein Weſen liebevoll die Hand nach mir ausſtrecken? Iſt fuͤr mich der Name Freund- ſchaft und Wohlwollen todt? — Und wenn der Himmel noch lauter zuͤrnte, ſo will ich mich dennoch nicht entſetzen. In einer noch hoͤhern Wildheit, im ſtuͤrmendſten Wahnſinne will ich einen Zufluchtsort ſuchen und mich dort gegen alles verſchanzen! Ich will ſo lange trinken bis mir Sinne, Athem und Bewußtſeyn entgehn, und ſo als ein taumelnder Schatten zum Orkus wandern, damit mir dort alles noch ſeltſamer und unbegreiflicher erſcheine. Hoch moͤcht' ich mit den Stuͤrmen durch

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/300>, abgerufen am 21.05.2024.