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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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erlaubte mir es nicht, mich in die Schranken
einer natürlichen und einfachen Empfindung zu
halten. Jedes Wort dieses Gedichts bringt
mir tausend süße und schmerzliche Erinnerungen
zurück, die Vergangenheit zieht mir schaden-
froh durch das Herz, noch schöner vielleicht,
als sie damals war. --

Seid mir gegrüßt, ihr frohen goldnen Jahre,
So sehr ihr auch mein Herz mit Wehmuth füllt!
Ach! damals! damals! -- immer strebt mein Geist
zurück
In jenes schöne Land, das einst die Heimath war.
Das goldne, tiefgesenkte Abendroth,
Des Mondes zarter Schimmer, der Gesang
Der Nachtigallen, jede Schönheit gab
Mir freundlich stillen Gruß, es labte sich
Mein Geist an allen wechselnden Gestalten
Und sah im Spiegel frischer Phantasie
Die Schönheit schöner: Willig fand die Anmuth
Zum Ungeheuren sich, und alles band sich stets
In reine Harmonie zusammen. -- Doch
Entschwunden ist die Zeit, das eh'rne Alter
Des Mannes trat in alle seine Rechte.
Mich kennt kein zartes, kindliches Gefühl,
Zerrissen alle Harmonie, das Chaos
Verwirrter Zweifel streckt sich vor mir aus.
Von jäher Felsenspitze schau' ich schwindelnd

erlaubte mir es nicht, mich in die Schranken
einer natuͤrlichen und einfachen Empfindung zu
halten. Jedes Wort dieſes Gedichts bringt
mir tauſend ſuͤße und ſchmerzliche Erinnerungen
zuruͤck, die Vergangenheit zieht mir ſchaden-
froh durch das Herz, noch ſchoͤner vielleicht,
als ſie damals war. —

Seid mir gegrüßt, ihr frohen goldnen Jahre,
So ſehr ihr auch mein Herz mit Wehmuth füllt!
Ach! damals! damals! — immer ſtrebt mein Geiſt
zurück
In jenes ſchöne Land, das einſt die Heimath war.
Das goldne, tiefgeſenkte Abendroth,
Des Mondes zarter Schimmer, der Geſang
Der Nachtigallen, jede Schönheit gab
Mir freundlich ſtillen Gruß, es labte ſich
Mein Geiſt an allen wechſelnden Geſtalten
Und ſah im Spiegel friſcher Phantaſie
Die Schönheit ſchöner: Willig fand die Anmuth
Zum Ungeheuren ſich, und alles band ſich ſtets
In reine Harmonie zuſammen. — Doch
Entſchwunden iſt die Zeit, das eh'rne Alter
Des Mannes trat in alle ſeine Rechte.
Mich kennt kein zartes, kindliches Gefühl,
Zerriſſen alle Harmonie, das Chaos
Verwirrter Zweifel ſtreckt ſich vor mir aus.
Von jäher Felſenſpitze ſchau' ich ſchwindelnd
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[290/0297] erlaubte mir es nicht, mich in die Schranken einer natuͤrlichen und einfachen Empfindung zu halten. Jedes Wort dieſes Gedichts bringt mir tauſend ſuͤße und ſchmerzliche Erinnerungen zuruͤck, die Vergangenheit zieht mir ſchaden- froh durch das Herz, noch ſchoͤner vielleicht, als ſie damals war. — Seid mir gegrüßt, ihr frohen goldnen Jahre, So ſehr ihr auch mein Herz mit Wehmuth füllt! Ach! damals! damals! — immer ſtrebt mein Geiſt zurück In jenes ſchöne Land, das einſt die Heimath war. Das goldne, tiefgeſenkte Abendroth, Des Mondes zarter Schimmer, der Geſang Der Nachtigallen, jede Schönheit gab Mir freundlich ſtillen Gruß, es labte ſich Mein Geiſt an allen wechſelnden Geſtalten Und ſah im Spiegel friſcher Phantaſie Die Schönheit ſchöner: Willig fand die Anmuth Zum Ungeheuren ſich, und alles band ſich ſtets In reine Harmonie zuſammen. — Doch Entſchwunden iſt die Zeit, das eh'rne Alter Des Mannes trat in alle ſeine Rechte. Mich kennt kein zartes, kindliches Gefühl, Zerriſſen alle Harmonie, das Chaos Verwirrter Zweifel ſtreckt ſich vor mir aus. Von jäher Felſenſpitze ſchau' ich ſchwindelnd

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/297>, abgerufen am 21.05.2024.