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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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ist mir nach und nach so interessant geworden,
daß es mir vorkömmt, als fehle mir irgend et-
was, wenn ich ihn an einem Tage nicht ge-
sehn habe.

Seine Tochter ist ein reizendes Bild der
Unschuld, ohne alle Prätension und voller
Schaam. Sie wundert sich über Glück und
Unglück gleich wenig in der Welt, und nicht
aus Standhaftigkeit, sondern weil sie so unbe-
fangen ist, daß sie glaubt, es muß so seyn.
Sie ist ein erwachsenes Kind, das mit allen
Gegenständen spielt, die es erreichen kann. --
O wohl dir, glückliches Wesen! Wie bunt und
luftig sieht dir selbst in deinem Elende die
Welt aus, du gehst mit neugierigem Auge hin-
durch, und betrachtest eifrig jede Nichtswür-
digkeit als etwas sehr Merkwürdiges. -- Sie ge-
nießt das Leben wie man sonst nur ein Kunst-
werk genießt, es ist ihr ein großer Jahrmarkt,
mit nett ausgeputzten Seltenheiten. --

Ach ich denke an Emilien zurück. Alle
meine Sorgen, alle schlaflosen Nächte fallen
mir ein, wenn ich ein liebenswürdiges Gesicht
sehe. Wo ich mich freuen will, tritt mir eine
schwarze Erinnerung entgegen, und wenn ich

iſt mir nach und nach ſo intereſſant geworden,
daß es mir vorkoͤmmt, als fehle mir irgend et-
was, wenn ich ihn an einem Tage nicht ge-
ſehn habe.

Seine Tochter iſt ein reizendes Bild der
Unſchuld, ohne alle Praͤtenſion und voller
Schaam. Sie wundert ſich uͤber Gluͤck und
Ungluͤck gleich wenig in der Welt, und nicht
aus Standhaftigkeit, ſondern weil ſie ſo unbe-
fangen iſt, daß ſie glaubt, es muß ſo ſeyn.
Sie iſt ein erwachſenes Kind, das mit allen
Gegenſtaͤnden ſpielt, die es erreichen kann. —
O wohl dir, gluͤckliches Weſen! Wie bunt und
luftig ſieht dir ſelbſt in deinem Elende die
Welt aus, du gehſt mit neugierigem Auge hin-
durch, und betrachteſt eifrig jede Nichtswuͤr-
digkeit als etwas ſehr Merkwuͤrdiges. — Sie ge-
nießt das Leben wie man ſonſt nur ein Kunſt-
werk genießt, es iſt ihr ein großer Jahrmarkt,
mit nett ausgeputzten Seltenheiten. —

Ach ich denke an Emilien zuruͤck. Alle
meine Sorgen, alle ſchlafloſen Naͤchte fallen
mir ein, wenn ich ein liebenswuͤrdiges Geſicht
ſehe. Wo ich mich freuen will, tritt mir eine
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[198/0205] iſt mir nach und nach ſo intereſſant geworden, daß es mir vorkoͤmmt, als fehle mir irgend et- was, wenn ich ihn an einem Tage nicht ge- ſehn habe. Seine Tochter iſt ein reizendes Bild der Unſchuld, ohne alle Praͤtenſion und voller Schaam. Sie wundert ſich uͤber Gluͤck und Ungluͤck gleich wenig in der Welt, und nicht aus Standhaftigkeit, ſondern weil ſie ſo unbe- fangen iſt, daß ſie glaubt, es muß ſo ſeyn. Sie iſt ein erwachſenes Kind, das mit allen Gegenſtaͤnden ſpielt, die es erreichen kann. — O wohl dir, gluͤckliches Weſen! Wie bunt und luftig ſieht dir ſelbſt in deinem Elende die Welt aus, du gehſt mit neugierigem Auge hin- durch, und betrachteſt eifrig jede Nichtswuͤr- digkeit als etwas ſehr Merkwuͤrdiges. — Sie ge- nießt das Leben wie man ſonſt nur ein Kunſt- werk genießt, es iſt ihr ein großer Jahrmarkt, mit nett ausgeputzten Seltenheiten. — Ach ich denke an Emilien zuruͤck. Alle meine Sorgen, alle ſchlafloſen Naͤchte fallen mir ein, wenn ich ein liebenswuͤrdiges Geſicht ſehe. Wo ich mich freuen will, tritt mir eine ſchwarze Erinnerung entgegen, und wenn ich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/205>, abgerufen am 04.05.2024.