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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Wille, und ich ließ mich daher gar nicht in
nähere Traktaten ein.

Ich ward endlich des Gewühls müde und
reiste ab. Ich konnte es nicht unterlassen, Ro-
ger- place zu besuchen, den Ort, wo Mortimer
mit Amalien wohnt: von hier erhalten Sie die-
sen Brief. Es trieb mich fast wieder meinen
Willen hieher, und nun will ich Amalien noch
einigemal sehn und dann abreisen.

Sie geht alle Morgen mit Mortimer spazie-
ren, denn es ist eine angenehme Allee vor ih-
rem Hause, die sich in einen schönen Wald ver-
liehrt; dann trinken sie Thee. Amalie ist recht
heiter und Mortimer hat sich ganz umgeändert,
er kommt mir weit menschlicher oder vielmehr
weiblicher vor. Amalie sieht älter und verstän-
diger aus. -- Ich habe einigemal des Abends
unter den rauschenden Bäumen gelegen und nach
ihren Fenstern hinaufgesehn. Ich war gestern
in Versuchung, hineinzusteigen. Mein Herz
kocht Haß und Wuth gegen Mortimer, und
doch wüßt' ich jetzt grade nicht warum. Aber
ich hatte Amalien nicht vergessen, ich log es
nur mir und andern, und darum hätte sie auch
mich nicht vergessen sollen; und Mortimer, der

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Wille, und ich ließ mich daher gar nicht in
naͤhere Traktaten ein.

Ich ward endlich des Gewuͤhls muͤde und
reiſte ab. Ich konnte es nicht unterlaſſen, Ro-
ger- place zu beſuchen, den Ort, wo Mortimer
mit Amalien wohnt: von hier erhalten Sie die-
ſen Brief. Es trieb mich faſt wieder meinen
Willen hieher, und nun will ich Amalien noch
einigemal ſehn und dann abreiſen.

Sie geht alle Morgen mit Mortimer ſpazie-
ren, denn es iſt eine angenehme Allee vor ih-
rem Hauſe, die ſich in einen ſchoͤnen Wald ver-
liehrt; dann trinken ſie Thee. Amalie iſt recht
heiter und Mortimer hat ſich ganz umgeaͤndert,
er kommt mir weit menſchlicher oder vielmehr
weiblicher vor. Amalie ſieht aͤlter und verſtaͤn-
diger aus. — Ich habe einigemal des Abends
unter den rauſchenden Baͤumen gelegen und nach
ihren Fenſtern hinaufgeſehn. Ich war geſtern
in Verſuchung, hineinzuſteigen. Mein Herz
kocht Haß und Wuth gegen Mortimer, und
doch wuͤßt' ich jetzt grade nicht warum. Aber
ich hatte Amalien nicht vergeſſen, ich log es
nur mir und andern, und darum haͤtte ſie auch
mich nicht vergeſſen ſollen; und Mortimer, der

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[115/0122] Wille, und ich ließ mich daher gar nicht in naͤhere Traktaten ein. Ich ward endlich des Gewuͤhls muͤde und reiſte ab. Ich konnte es nicht unterlaſſen, Ro- ger- place zu beſuchen, den Ort, wo Mortimer mit Amalien wohnt: von hier erhalten Sie die- ſen Brief. Es trieb mich faſt wieder meinen Willen hieher, und nun will ich Amalien noch einigemal ſehn und dann abreiſen. Sie geht alle Morgen mit Mortimer ſpazie- ren, denn es iſt eine angenehme Allee vor ih- rem Hauſe, die ſich in einen ſchoͤnen Wald ver- liehrt; dann trinken ſie Thee. Amalie iſt recht heiter und Mortimer hat ſich ganz umgeaͤndert, er kommt mir weit menſchlicher oder vielmehr weiblicher vor. Amalie ſieht aͤlter und verſtaͤn- diger aus. — Ich habe einigemal des Abends unter den rauſchenden Baͤumen gelegen und nach ihren Fenſtern hinaufgeſehn. Ich war geſtern in Verſuchung, hineinzuſteigen. Mein Herz kocht Haß und Wuth gegen Mortimer, und doch wuͤßt' ich jetzt grade nicht warum. Aber ich hatte Amalien nicht vergeſſen, ich log es nur mir und andern, und darum haͤtte ſie auch mich nicht vergeſſen ſollen; und Mortimer, der H 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/122>, abgerufen am 06.05.2024.