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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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dem Lovell könnte vielleicht einer von den letz-
ten gemacht werden, denn er giebt mir selbst
freywillig alle die Fäden in die Hand, an denen
er gelenkt werden kann. Ich halte es für eine
Nothwendigkeit, daß ich mich hüte, mich ir-
gend einem Menschen zu vertrauen, weil er in
demselben Augenblicke über mir steht.

Lovell ist etwas jünger als ich, und er
macht vielleicht noch dieselben Erfahrungen, die
ich schon jetzt gesammelt habe. Das Alter ist
bey gleichjungen Menschen oft sehr verschieden,
und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht
selbst um viele Jahre vorausgeeilt; ich fühle
wenigstens von dem Jugendlichen und Kindischen
nichts in mir, daß ich an den meisten Jüng-
lingen und an Lovell so vorzüglich bemerke.
Mich verleitet die Hitze nie, mich selbst zu
vergessen; ich werde durch keine Erzählung in
einen Enthusiasmus versetzt, der mir schaden
könnte. Mein Blick richtet sich immer auf das
große Gemählde des verworrenen menschlichen
Lebens, und ich fühle, daß ich mich selbst zum
Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder
auf mich selbst zurück wenden muß, um nicht
zu schwindeln.


dem Lovell koͤnnte vielleicht einer von den letz-
ten gemacht werden, denn er giebt mir ſelbſt
freywillig alle die Faͤden in die Hand, an denen
er gelenkt werden kann. Ich halte es fuͤr eine
Nothwendigkeit, daß ich mich huͤte, mich ir-
gend einem Menſchen zu vertrauen, weil er in
demſelben Augenblicke uͤber mir ſteht.

Lovell iſt etwas juͤnger als ich, und er
macht vielleicht noch dieſelben Erfahrungen, die
ich ſchon jetzt geſammelt habe. Das Alter iſt
bey gleichjungen Menſchen oft ſehr verſchieden,
und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht
ſelbſt um viele Jahre vorausgeeilt; ich fuͤhle
wenigſtens von dem Jugendlichen und Kindiſchen
nichts in mir, daß ich an den meiſten Juͤng-
lingen und an Lovell ſo vorzuͤglich bemerke.
Mich verleitet die Hitze nie, mich ſelbſt zu
vergeſſen; ich werde durch keine Erzaͤhlung in
einen Enthuſiasmus verſetzt, der mir ſchaden
koͤnnte. Mein Blick richtet ſich immer auf das
große Gemaͤhlde des verworrenen menſchlichen
Lebens, und ich fuͤhle, daß ich mich ſelbſt zum
Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder
auf mich ſelbſt zuruͤck wenden muß, um nicht
zu ſchwindeln.


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[408/0414] dem Lovell koͤnnte vielleicht einer von den letz- ten gemacht werden, denn er giebt mir ſelbſt freywillig alle die Faͤden in die Hand, an denen er gelenkt werden kann. Ich halte es fuͤr eine Nothwendigkeit, daß ich mich huͤte, mich ir- gend einem Menſchen zu vertrauen, weil er in demſelben Augenblicke uͤber mir ſteht. Lovell iſt etwas juͤnger als ich, und er macht vielleicht noch dieſelben Erfahrungen, die ich ſchon jetzt geſammelt habe. Das Alter iſt bey gleichjungen Menſchen oft ſehr verſchieden, und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht ſelbſt um viele Jahre vorausgeeilt; ich fuͤhle wenigſtens von dem Jugendlichen und Kindiſchen nichts in mir, daß ich an den meiſten Juͤng- lingen und an Lovell ſo vorzuͤglich bemerke. Mich verleitet die Hitze nie, mich ſelbſt zu vergeſſen; ich werde durch keine Erzaͤhlung in einen Enthuſiasmus verſetzt, der mir ſchaden koͤnnte. Mein Blick richtet ſich immer auf das große Gemaͤhlde des verworrenen menſchlichen Lebens, und ich fuͤhle, daß ich mich ſelbſt zum Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder auf mich ſelbſt zuruͤck wenden muß, um nicht zu ſchwindeln.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/414>, abgerufen am 04.05.2024.