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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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keimenden Mädchens zusammenzieht, was ist sie
anders, als das Vorgefühl der Liebe? Und was
ist die Liebe mit allen ihren fröhlichen Qualen
und ihren peinigenden Freuden weiter, als das
Drängen nach dem Genusse, dem Ziele, nach wel-
chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen
Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in sei-
ne Muttersprache übersetzte, seine langweiligen
Gedichte die lustigste Lektür von der Welt seyn
müßten?

Grüßen Sie Bianka von mir und weihen
Sie ihr eine Ihrer feurigsten Oden, denn sie
hat es um Sie verdient. Diese Mädchen ver-
dienen nicht nur mit dem Rosenkranze der Liebe,
sondern auch mit der eichenlaubigen Bürgerkro-
ne geschmückt zu werden. Dante war gewiß
eben so enthaltsam, als Sie, sonst hätte er sein
finsteres Gedicht nicht geschrieben, an dessen
Existenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie
meinem Rathe, denn nur der Phlegmatische
wird nicht bei einer ähnlichen Art zu leben dü-
ster und melancholisch.

Ich sehe die Gegenden um Neapel und die
Mädchen der Stadt mehr, als den finstern Bal-
der
, der wie eine Mumie in einer Katakombe

keimenden Maͤdchens zuſammenzieht, was iſt ſie
anders, als das Vorgefuͤhl der Liebe? Und was
iſt die Liebe mit allen ihren froͤhlichen Qualen
und ihren peinigenden Freuden weiter, als das
Draͤngen nach dem Genuſſe, dem Ziele, nach wel-
chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen
Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in ſei-
ne Mutterſprache uͤberſetzte, ſeine langweiligen
Gedichte die luſtigſte Lektuͤr von der Welt ſeyn
muͤßten?

Gruͤßen Sie Bianka von mir und weihen
Sie ihr eine Ihrer feurigſten Oden, denn ſie
hat es um Sie verdient. Dieſe Maͤdchen ver-
dienen nicht nur mit dem Roſenkranze der Liebe,
ſondern auch mit der eichenlaubigen Buͤrgerkro-
ne geſchmuͤckt zu werden. Dante war gewiß
eben ſo enthaltſam, als Sie, ſonſt haͤtte er ſein
finſteres Gedicht nicht geſchrieben, an deſſen
Exiſtenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie
meinem Rathe, denn nur der Phlegmatiſche
wird nicht bei einer aͤhnlichen Art zu leben duͤ-
ſter und melancholiſch.

Ich ſehe die Gegenden um Neapel und die
Maͤdchen der Stadt mehr, als den finſtern Bal-
der
, der wie eine Mumie in einer Katakombe

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[28/0034] keimenden Maͤdchens zuſammenzieht, was iſt ſie anders, als das Vorgefuͤhl der Liebe? Und was iſt die Liebe mit allen ihren froͤhlichen Qualen und ihren peinigenden Freuden weiter, als das Draͤngen nach dem Genuſſe, dem Ziele, nach wel- chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in ſei- ne Mutterſprache uͤberſetzte, ſeine langweiligen Gedichte die luſtigſte Lektuͤr von der Welt ſeyn muͤßten? Gruͤßen Sie Bianka von mir und weihen Sie ihr eine Ihrer feurigſten Oden, denn ſie hat es um Sie verdient. Dieſe Maͤdchen ver- dienen nicht nur mit dem Roſenkranze der Liebe, ſondern auch mit der eichenlaubigen Buͤrgerkro- ne geſchmuͤckt zu werden. Dante war gewiß eben ſo enthaltſam, als Sie, ſonſt haͤtte er ſein finſteres Gedicht nicht geſchrieben, an deſſen Exiſtenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie meinem Rathe, denn nur der Phlegmatiſche wird nicht bei einer aͤhnlichen Art zu leben duͤ- ſter und melancholiſch. Ich ſehe die Gegenden um Neapel und die Maͤdchen der Stadt mehr, als den finſtern Bal- der, der wie eine Mumie in einer Katakombe

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/34>, abgerufen am 28.03.2024.