Thore einer fremden Welt geklopft hätte, und sich zu meiner Vernichtung die Flügel öffneten und tausend Gefühle auf mich einstürzten, die der gewöhnliche Mensch zu tragen zu schwach ist. -- Andrea erscheint mir jetzt als ein Thürhüter zu jenem unbekannten Hause, als ein Uebergang al- les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht löst Ein Aufschluß alle Räthsel in und ausser uns, unser Gefühl und unsre Phantasie reichen vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein, wo unsre Vernunft schier zurückbleibt; am En- de verschwindet alle Täuschung, wenn wir auf einen Gipfel gelangen, der der übrigen Welt die höchste und unsinnigste Täuschung scheint. Balder kömmt mit seinen Erscheinungen in mei- ne Seele zurück, -- o Rosa, was ist Unsinn und was Vernunft? Alles Sichtbare hängt wie Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge- ahmten Figuren um uns her, was dahinter liegt wissen wir nicht, und wir nennen den Raum, den wir für leer halten, das Gebiet der Träume und der Schwärmerey, keiner wagt den dreisten Schritt näher, um die Tapeten wegzuheben, hinter den Coulissen zu blicken und das Kunstwerk der äussern Sinne so zu zerstö-
Thore einer fremden Welt geklopft haͤtte, und ſich zu meiner Vernichtung die Fluͤgel oͤffneten und tauſend Gefuͤhle auf mich einſtuͤrzten, die der gewoͤhnliche Menſch zu tragen zu ſchwach iſt. — Andrea erſcheint mir jetzt als ein Thuͤrhuͤter zu jenem unbekannten Hauſe, als ein Uebergang al- les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht loͤſt Ein Aufſchluß alle Raͤthſel in und auſſer uns, unſer Gefuͤhl und unſre Phantaſie reichen vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein, wo unſre Vernunft ſchier zuruͤckbleibt; am En- de verſchwindet alle Taͤuſchung, wenn wir auf einen Gipfel gelangen, der der uͤbrigen Welt die hoͤchſte und unſinnigſte Taͤuſchung ſcheint. Balder koͤmmt mit ſeinen Erſcheinungen in mei- ne Seele zuruͤck, — o Roſa, was iſt Unſinn und was Vernunft? Alles Sichtbare haͤngt wie Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge- ahmten Figuren um uns her, was dahinter liegt wiſſen wir nicht, und wir nennen den Raum, den wir fuͤr leer halten, das Gebiet der Traͤume und der Schwaͤrmerey, keiner wagt den dreiſten Schritt naͤher, um die Tapeten wegzuheben, hinter den Couliſſen zu blicken und das Kunſtwerk der aͤuſſern Sinne ſo zu zerſtoͤ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0319"n="313"/>
Thore einer fremden Welt geklopft haͤtte, und ſich<lb/>
zu meiner Vernichtung die Fluͤgel oͤffneten und<lb/>
tauſend Gefuͤhle auf mich einſtuͤrzten, die der<lb/>
gewoͤhnliche Menſch zu tragen zu ſchwach iſt. —<lb/>
Andrea erſcheint mir jetzt als ein Thuͤrhuͤter zu<lb/>
jenem unbekannten Hauſe, als ein Uebergang al-<lb/>
les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht<lb/>
loͤſt Ein Aufſchluß alle Raͤthſel in und auſſer<lb/>
uns, unſer Gefuͤhl und unſre Phantaſie reichen<lb/>
vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein,<lb/>
wo unſre Vernunft ſchier zuruͤckbleibt; am En-<lb/>
de verſchwindet alle Taͤuſchung, wenn wir auf<lb/>
einen Gipfel gelangen, der der uͤbrigen Welt<lb/>
die hoͤchſte und unſinnigſte Taͤuſchung ſcheint.<lb/>
Balder koͤmmt mit ſeinen Erſcheinungen in mei-<lb/>
ne Seele zuruͤck, — o Roſa, was iſt Unſinn<lb/>
und was Vernunft? Alles Sichtbare haͤngt wie<lb/>
Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge-<lb/>
ahmten Figuren um uns her, was dahinter<lb/>
liegt wiſſen wir nicht, und wir nennen den<lb/>
Raum, den wir fuͤr leer halten, das Gebiet<lb/>
der Traͤume und der Schwaͤrmerey, keiner wagt<lb/>
den dreiſten Schritt naͤher, um die Tapeten<lb/>
wegzuheben, hinter den Couliſſen zu blicken und<lb/>
das Kunſtwerk der aͤuſſern Sinne ſo zu zerſtoͤ-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[313/0319]
Thore einer fremden Welt geklopft haͤtte, und ſich
zu meiner Vernichtung die Fluͤgel oͤffneten und
tauſend Gefuͤhle auf mich einſtuͤrzten, die der
gewoͤhnliche Menſch zu tragen zu ſchwach iſt. —
Andrea erſcheint mir jetzt als ein Thuͤrhuͤter zu
jenem unbekannten Hauſe, als ein Uebergang al-
les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht
loͤſt Ein Aufſchluß alle Raͤthſel in und auſſer
uns, unſer Gefuͤhl und unſre Phantaſie reichen
vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein,
wo unſre Vernunft ſchier zuruͤckbleibt; am En-
de verſchwindet alle Taͤuſchung, wenn wir auf
einen Gipfel gelangen, der der uͤbrigen Welt
die hoͤchſte und unſinnigſte Taͤuſchung ſcheint.
Balder koͤmmt mit ſeinen Erſcheinungen in mei-
ne Seele zuruͤck, — o Roſa, was iſt Unſinn
und was Vernunft? Alles Sichtbare haͤngt wie
Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge-
ahmten Figuren um uns her, was dahinter
liegt wiſſen wir nicht, und wir nennen den
Raum, den wir fuͤr leer halten, das Gebiet
der Traͤume und der Schwaͤrmerey, keiner wagt
den dreiſten Schritt naͤher, um die Tapeten
wegzuheben, hinter den Couliſſen zu blicken und
das Kunſtwerk der aͤuſſern Sinne ſo zu zerſtoͤ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/319>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.