Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergieb mir meine Ausschweifung, aber ich
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-
weist, daß er nur in meinem Auge existire, --
ist mein Auge nicht ein wirkliches Wesen und
darum für mich auch die Erscheinung wirk-
lich? -- Ich hasse die Menschen, die mit ihrer
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche
Dämmerung hineinleuchten und die lieblichen
Schattenphantome verjagen, die so sicher unter
der gewölbten Laube wohnten. In unserm Zeit-
alter ist es vielleicht Tag geworden, aber
das romantische Mondlicht war schöner, als die-
ses graue Licht des wolkigen Himmels; den
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-
blau müssen wir erst von der Zukunft erwar-
ten. --

Wie mich alles hier anekelt! -- Man spricht
und schwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein
einzigmahl zu sagen, was man denkt; man
geht in's Konzert, ohne die Absicht zu haben,
Musik zu hören; man umarmt und küßt sich,
und wünscht diese Küsse vergiftet. Es ist eine
Welt voller Schauspieler und wo man überdies
noch die meisten Rollen armseelig darstellen
sieht, wo man die fremdartigen Maschinerien

Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-
weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, —
iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und
darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk-
lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche
Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen
Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter
der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit-
alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber
das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die-
ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-
blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar-
ten. —

Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht
und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein
einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man
geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben,
Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich,
und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine
Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies
noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen
ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0095" n="87[85]"/>
          <p>Vergieb mir meine Aus&#x017F;chweifung, aber ich<lb/>
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-<lb/>
wei&#x017F;t, daß er nur in meinem Auge exi&#x017F;tire, &#x2014;<lb/>
i&#x017F;t mein Auge nicht ein wirkliches We&#x017F;en und<lb/>
darum fu&#x0364;r mich auch die Er&#x017F;cheinung wirk-<lb/>
lich? &#x2014; Ich ha&#x017F;&#x017F;e die Men&#x017F;chen, die mit ihrer<lb/>
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche<lb/>
Da&#x0364;mmerung hineinleuchten und die lieblichen<lb/>
Schattenphantome verjagen, die &#x017F;o &#x017F;icher unter<lb/>
der gewo&#x0364;lbten Laube wohnten. In un&#x017F;erm Zeit-<lb/>
alter i&#x017F;t es vielleicht Tag geworden, aber<lb/>
das romanti&#x017F;che Mondlicht war &#x017F;cho&#x0364;ner, als die-<lb/>
&#x017F;es graue Licht des wolkigen Himmels; den<lb/>
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-<lb/>
blau mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir er&#x017F;t von der Zukunft erwar-<lb/>
ten. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wie mich alles hier anekelt! &#x2014; Man &#x017F;pricht<lb/>
und &#x017F;chwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein<lb/>
einzigmahl zu &#x017F;agen, was man denkt; man<lb/>
geht in&#x2019;s Konzert, ohne die Ab&#x017F;icht zu haben,<lb/>
Mu&#x017F;ik zu ho&#x0364;ren; man umarmt und ku&#x0364;ßt &#x017F;ich,<lb/>
und wu&#x0364;n&#x017F;cht die&#x017F;e Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e vergiftet. Es i&#x017F;t eine<lb/>
Welt voller Schau&#x017F;pieler und wo man u&#x0364;berdies<lb/>
noch die mei&#x017F;ten Rollen arm&#x017F;eelig dar&#x017F;tellen<lb/>
&#x017F;ieht, wo man die fremdartigen Ma&#x017F;chinerien<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87[85]/0095] Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be- weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, — iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk- lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit- alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die- ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Aether- blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar- ten. — Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben, Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich, und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/95
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 87[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/95>, abgerufen am 22.11.2024.