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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Vergieb mir meine Ausschweifung, aber ich
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-
weist, daß er nur in meinem Auge existire, --
ist mein Auge nicht ein wirkliches Wesen und
darum für mich auch die Erscheinung wirk-
lich? -- Ich hasse die Menschen, die mit ihrer
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche
Dämmerung hineinleuchten und die lieblichen
Schattenphantome verjagen, die so sicher unter
der gewölbten Laube wohnten. In unserm Zeit-
alter ist es vielleicht Tag geworden, aber
das romantische Mondlicht war schöner, als die-
ses graue Licht des wolkigen Himmels; den
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-
blau müssen wir erst von der Zukunft erwar-
ten. --

Wie mich alles hier anekelt! -- Man spricht
und schwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein
einzigmahl zu sagen, was man denkt; man
geht in's Konzert, ohne die Absicht zu haben,
Musik zu hören; man umarmt und küßt sich,
und wünscht diese Küsse vergiftet. Es ist eine
Welt voller Schauspieler und wo man überdies
noch die meisten Rollen armseelig darstellen
sieht, wo man die fremdartigen Maschinerien

Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-
weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, —
iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und
darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk-
lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche
Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen
Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter
der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit-
alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber
das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die-
ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-
blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar-
ten. —

Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht
und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein
einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man
geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben,
Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich,
und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine
Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies
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[87[85]/0095] Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be- weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, — iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk- lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit- alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die- ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Aether- blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar- ten. — Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben, Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich, und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 87[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/95>, abgerufen am 07.05.2024.