Vergieb mir meine Ausschweifung, aber ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be- weist, daß er nur in meinem Auge existire, -- ist mein Auge nicht ein wirkliches Wesen und darum für mich auch die Erscheinung wirk- lich? -- Ich hasse die Menschen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Dämmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die so sicher unter der gewölbten Laube wohnten. In unserm Zeit- alter ist es vielleicht Tag geworden, aber das romantische Mondlicht war schöner, als die- ses graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Aether- blau müssen wir erst von der Zukunft erwar- ten. --
Wie mich alles hier anekelt! -- Man spricht und schwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmahl zu sagen, was man denkt; man geht in's Konzert, ohne die Absicht zu haben, Musik zu hören; man umarmt und küßt sich, und wünscht diese Küsse vergiftet. Es ist eine Welt voller Schauspieler und wo man überdies noch die meisten Rollen armseelig darstellen sieht, wo man die fremdartigen Maschinerien
Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be- weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, — iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk- lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit- alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die- ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Aether- blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar- ten. —
Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben, Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich, und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0095"n="87[85]"/><p>Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich<lb/>
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-<lb/>
weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, —<lb/>
iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und<lb/>
darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk-<lb/>
lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer<lb/>
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche<lb/>
Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen<lb/>
Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter<lb/>
der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit-<lb/>
alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber<lb/>
das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die-<lb/>ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den<lb/>
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-<lb/>
blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar-<lb/>
ten. —</p><lb/><p>Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht<lb/>
und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein<lb/>
einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man<lb/>
geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben,<lb/>
Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich,<lb/>
und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine<lb/>
Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies<lb/>
noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen<lb/>ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87[85]/0095]
Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich
liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be-
weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, —
iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und
darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk-
lich? — Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer
nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche
Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen
Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter
der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit-
alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber
das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die-
ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den
Durchbruch der Sonne und das reine Aether-
blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar-
ten. —
Wie mich alles hier anekelt! — Man ſpricht
und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein
einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man
geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben,
Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich,
und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine
Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies
noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen
ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 87[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/95>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.