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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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ne ging sehr schön unter und ich ließ den Wa-
gen fahren, um durch einen Umweg nach dem
Thore zu kommen. Ich gehe seitwärts und ent-
ferne mich immer mehr von der großen Straße;
plötzlich seh ich in einiger Entfernung von mir
zwey Gestalten in einem tiefen Gespräche vor-
übergehn, -- o Eduard! und ich wünschte, der
Boden möchte unter mir brechen, -- es war
Rosa, Rosa am Arme jenes fürchterlichen Un-
geheuers! jenes entsetzlichen Gespenstes, das hohl
und leise hinter mir geht und sich der Fäden
bemeistert hat, an denen es mein Schicksal
lenkt. -- Es ist kein Mensch, Eduard, denn so
hat noch nie ein Mensch ausgesehn, -- und
Rosa, Rosa der Vertraute meines Herzens,
dem ich meine Seele aufzubewahren gegeben
hatte, an seinem Arme! Im vertrauten freund-
lichen Gespräche mit ihm! -- Meine Liebe und
mein Abscheu gehn mir Arm in Arm vorüber und
die Zukunft öffnet sich mir, wie mit einem gewal-
tigen Risse und ich sehe tief, tief hinunter nichts
als Unglück und Gräßlichkeiten.

O Eduard! wer könnte dabei kalt und ge-
lassen bleiben? Von diesem Augenblicke ist mir
Rosa ein fremdes Wesen geworden, Rom ist

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ne ging ſehr ſchoͤn unter und ich ließ den Wa-
gen fahren, um durch einen Umweg nach dem
Thore zu kommen. Ich gehe ſeitwaͤrts und ent-
ferne mich immer mehr von der großen Straße;
ploͤtzlich ſeh ich in einiger Entfernung von mir
zwey Geſtalten in einem tiefen Geſpraͤche vor-
uͤbergehn, — o Eduard! und ich wuͤnſchte, der
Boden moͤchte unter mir brechen, — es war
Roſa, Roſa am Arme jenes fuͤrchterlichen Un-
geheuers! jenes entſetzlichen Geſpenſtes, das hohl
und leiſe hinter mir geht und ſich der Faͤden
bemeiſtert hat, an denen es mein Schickſal
lenkt. — Es iſt kein Menſch, Eduard, denn ſo
hat noch nie ein Menſch ausgeſehn, — und
Roſa, Roſa der Vertraute meines Herzens,
dem ich meine Seele aufzubewahren gegeben
hatte, an ſeinem Arme! Im vertrauten freund-
lichen Geſpraͤche mit ihm! — Meine Liebe und
mein Abſcheu gehn mir Arm in Arm voruͤber und
die Zukunft oͤffnet ſich mir, wie mit einem gewal-
tigen Riſſe und ich ſehe tief, tief hinunter nichts
als Ungluͤck und Graͤßlichkeiten.

O Eduard! wer koͤnnte dabei kalt und ge-
laſſen bleiben? Von dieſem Augenblicke iſt mir
Roſa ein fremdes Weſen geworden, Rom iſt

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[339[337]/0347] ne ging ſehr ſchoͤn unter und ich ließ den Wa- gen fahren, um durch einen Umweg nach dem Thore zu kommen. Ich gehe ſeitwaͤrts und ent- ferne mich immer mehr von der großen Straße; ploͤtzlich ſeh ich in einiger Entfernung von mir zwey Geſtalten in einem tiefen Geſpraͤche vor- uͤbergehn, — o Eduard! und ich wuͤnſchte, der Boden moͤchte unter mir brechen, — es war Roſa, Roſa am Arme jenes fuͤrchterlichen Un- geheuers! jenes entſetzlichen Geſpenſtes, das hohl und leiſe hinter mir geht und ſich der Faͤden bemeiſtert hat, an denen es mein Schickſal lenkt. — Es iſt kein Menſch, Eduard, denn ſo hat noch nie ein Menſch ausgeſehn, — und Roſa, Roſa der Vertraute meines Herzens, dem ich meine Seele aufzubewahren gegeben hatte, an ſeinem Arme! Im vertrauten freund- lichen Geſpraͤche mit ihm! — Meine Liebe und mein Abſcheu gehn mir Arm in Arm voruͤber und die Zukunft oͤffnet ſich mir, wie mit einem gewal- tigen Riſſe und ich ſehe tief, tief hinunter nichts als Ungluͤck und Graͤßlichkeiten. O Eduard! wer koͤnnte dabei kalt und ge- laſſen bleiben? Von dieſem Augenblicke iſt mir Roſa ein fremdes Weſen geworden, Rom iſt Y 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 339[337]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/347>, abgerufen am 28.11.2024.