Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Der bleiche Gram und Jammer sanken nieder
Und grüßten mich als längst gekannte Brüder.

Da sprach der Gram in banger Geisterstunde:
Du bist zu Quaalen eingeweiht,
Ein Ziel des Schicksals Grausamkeit,
Die Bogen sind gespannt und jede Stunde
Schlägt grausam dir stets eine neue Wunde.
Dich werden alle Menschenfreuden fliehen,
Dich spricht kein Wesen freundlich an,
Du gehst die wüste Felsenbahn,
Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,
Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen,
Die Liebe, die in allen Wesen klingt,
Des Erdenglükkes schönste Freuden,
Die Götter selbst dem Menschen neiden,
Durch die er sich zum höchsten Äther schwingt,
Vermessen mit dem Glück des Himmels ringt --
Die Liebe sei auf ewig dir versagt.
Das Thor ist hinter dir geschlossen,
Auf der Verzweiflung wilden Rossen
Wirst du durch's öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.
Dann sinkst du in die ewge Nacht zurück,
Sieh tausend Elend auf dich zielen,
Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen!
Nur erst im ausgelöschten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück. --

Der bleiche Gram und Jammer ſanken nieder
Und grüßten mich als längſt gekannte Brüder.

Da ſprach der Gram in banger Geiſterſtunde:
Du biſt zu Quaalen eingeweiht,
Ein Ziel des Schickſals Grauſamkeit,
Die Bogen ſind geſpannt und jede Stunde
Schlägt grauſam dir ſtets eine neue Wunde.
Dich werden alle Menſchenfreuden fliehen,
Dich ſpricht kein Weſen freundlich an,
Du gehſt die wüſte Felſenbahn,
Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,
Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen,
Die Liebe, die in allen Weſen klingt,
Des Erdenglükkes ſchönſte Freuden,
Die Götter ſelbſt dem Menſchen neiden,
Durch die er ſich zum höchſten Äther ſchwingt,
Vermeſſen mit dem Glück des Himmels ringt —
Die Liebe ſei auf ewig dir verſagt.
Das Thor iſt hinter dir geſchloſſen,
Auf der Verzweiflung wilden Roſſen
Wirſt du durch’s öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.
Dann ſinkſt du in die ewge Nacht zurück,
Sieh tauſend Elend auf dich zielen,
Im Schmerz dein Daſein nur zu fühlen!
Nur erſt im ausgelöſchten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erſte Glück. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <l>
                <pb facs="#f0030" n="22[20]"/>
              </l>
              <l>Der bleiche Gram und Jammer &#x017F;anken nieder</l><lb/>
              <l>Und grüßten mich als läng&#x017F;t gekannte Brüder.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Da &#x017F;prach der Gram in banger Gei&#x017F;ter&#x017F;tunde:</l><lb/>
              <l>Du bi&#x017F;t zu Quaalen eingeweiht,</l><lb/>
              <l>Ein Ziel des Schick&#x017F;als Grau&#x017F;amkeit,</l><lb/>
              <l>Die Bogen &#x017F;ind ge&#x017F;pannt und jede Stunde</l><lb/>
              <l>Schlägt grau&#x017F;am dir &#x017F;tets eine neue Wunde.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Dich werden alle Men&#x017F;chenfreuden fliehen,</l><lb/>
              <l>Dich &#x017F;pricht kein We&#x017F;en freundlich an,</l><lb/>
              <l>Du geh&#x017F;t die wü&#x017F;te Fel&#x017F;enbahn,</l><lb/>
              <l>Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,</l><lb/>
              <l>Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Die Liebe, die in allen We&#x017F;en klingt,</l><lb/>
              <l>Des Erdenglükkes &#x017F;chön&#x017F;te Freuden,</l><lb/>
              <l>Die Götter &#x017F;elb&#x017F;t dem Men&#x017F;chen neiden,</l><lb/>
              <l>Durch die er &#x017F;ich zum höch&#x017F;ten Äther &#x017F;chwingt,</l><lb/>
              <l>Verme&#x017F;&#x017F;en mit dem Glück des Himmels ringt &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Die Liebe &#x017F;ei auf ewig dir ver&#x017F;agt.</l><lb/>
              <l>Das Thor i&#x017F;t hinter dir ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Auf der Verzweiflung wilden Ro&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Wir&#x017F;t du durch&#x2019;s öde Leben hingejagt,</l><lb/>
              <l>Wo keine Freude dir zu folgen wagt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Dann &#x017F;ink&#x017F;t du in die ewge Nacht zurück,</l><lb/>
              <l>Sieh tau&#x017F;end Elend auf dich zielen,</l><lb/>
              <l>Im Schmerz dein Da&#x017F;ein nur zu fühlen!</l><lb/>
              <l>Nur er&#x017F;t im ausgelö&#x017F;chten Todesblick</l><lb/>
              <l>Begrüßt voll Mitleid dich das er&#x017F;te Glück. &#x2014;</l>
            </lg>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22[20]/0030] Der bleiche Gram und Jammer ſanken nieder Und grüßten mich als längſt gekannte Brüder. Da ſprach der Gram in banger Geiſterſtunde: Du biſt zu Quaalen eingeweiht, Ein Ziel des Schickſals Grauſamkeit, Die Bogen ſind geſpannt und jede Stunde Schlägt grauſam dir ſtets eine neue Wunde. Dich werden alle Menſchenfreuden fliehen, Dich ſpricht kein Weſen freundlich an, Du gehſt die wüſte Felſenbahn, Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen, Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen, Die Liebe, die in allen Weſen klingt, Des Erdenglükkes ſchönſte Freuden, Die Götter ſelbſt dem Menſchen neiden, Durch die er ſich zum höchſten Äther ſchwingt, Vermeſſen mit dem Glück des Himmels ringt — Die Liebe ſei auf ewig dir verſagt. Das Thor iſt hinter dir geſchloſſen, Auf der Verzweiflung wilden Roſſen Wirſt du durch’s öde Leben hingejagt, Wo keine Freude dir zu folgen wagt. Dann ſinkſt du in die ewge Nacht zurück, Sieh tauſend Elend auf dich zielen, Im Schmerz dein Daſein nur zu fühlen! Nur erſt im ausgelöſchten Todesblick Begrüßt voll Mitleid dich das erſte Glück. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/30
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 22[20]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/30>, abgerufen am 29.03.2024.