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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Ich komme mir in vielen Momenten wie ein
Kind vor, welches jammert, ohne selbst zu wis-
sen, worüber. Ich komme so eben von einem
kleinen Spatziergange aus dem Felde zurück: der
Mond zittert in wunderbaren Gestalten durch die
Bäume, der Schatten flieht über das Feld und
jagt sich hin und her mit dem Scheine des Mon-
des; die nächtliche Einsamkeit hat meine Gefühle
in Ruhe gewiegt, ich sehe mich und die Welt
gemäßigter an und kann itzt mein Unglück nur
in mir selber finden. Ich ahnde eine Zeit, in
welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie
leere kindische Träume vorschweben werden, wo
ich mitleidig über diesen Drang des Herzens
lächle, der itzt meine Quaal und Seeligkeit ist, --
und soll ich es dir gestehn, Eduard? -- Diese
Ahndung macht mich traurig. -- Wenn dieses
glühende Herz nach und nach erkaltet, dieser
Funke der Gottheit in mir zur Asche ausbrennt
und die Welt mich vielleicht verständiger nennt,
-- was wird mir die innige Liebe ersetzen, mit der
ich die Welt umfangen möchte? -- Die Vernunft
wird die Schönheiten anatomiren, deren holder
Einklang mich itzt berauscht: ich werde die Welt
und die Menschen mehr kennen, aber ich werde

Ich komme mir in vielen Momenten wie ein
Kind vor, welches jammert, ohne ſelbſt zu wiſ-
ſen, woruͤber. Ich komme ſo eben von einem
kleinen Spatziergange aus dem Felde zuruͤck: der
Mond zittert in wunderbaren Geſtalten durch die
Baͤume, der Schatten flieht uͤber das Feld und
jagt ſich hin und her mit dem Scheine des Mon-
des; die naͤchtliche Einſamkeit hat meine Gefuͤhle
in Ruhe gewiegt, ich ſehe mich und die Welt
gemaͤßigter an und kann itzt mein Ungluͤck nur
in mir ſelber finden. Ich ahnde eine Zeit, in
welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie
leere kindiſche Traͤume vorſchweben werden, wo
ich mitleidig uͤber dieſen Drang des Herzens
laͤchle, der itzt meine Quaal und Seeligkeit iſt, —
und ſoll ich es dir geſtehn, Eduard? — Dieſe
Ahndung macht mich traurig. — Wenn dieſes
gluͤhende Herz nach und nach erkaltet, dieſer
Funke der Gottheit in mir zur Aſche ausbrennt
und die Welt mich vielleicht verſtaͤndiger nennt,
— was wird mir die innige Liebe erſetzen, mit der
ich die Welt umfangen moͤchte? — Die Vernunft
wird die Schoͤnheiten anatomiren, deren holder
Einklang mich itzt berauſcht: ich werde die Welt
und die Menſchen mehr kennen, aber ich werde

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[23[21]/0031] Ich komme mir in vielen Momenten wie ein Kind vor, welches jammert, ohne ſelbſt zu wiſ- ſen, woruͤber. Ich komme ſo eben von einem kleinen Spatziergange aus dem Felde zuruͤck: der Mond zittert in wunderbaren Geſtalten durch die Baͤume, der Schatten flieht uͤber das Feld und jagt ſich hin und her mit dem Scheine des Mon- des; die naͤchtliche Einſamkeit hat meine Gefuͤhle in Ruhe gewiegt, ich ſehe mich und die Welt gemaͤßigter an und kann itzt mein Ungluͤck nur in mir ſelber finden. Ich ahnde eine Zeit, in welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie leere kindiſche Traͤume vorſchweben werden, wo ich mitleidig uͤber dieſen Drang des Herzens laͤchle, der itzt meine Quaal und Seeligkeit iſt, — und ſoll ich es dir geſtehn, Eduard? — Dieſe Ahndung macht mich traurig. — Wenn dieſes gluͤhende Herz nach und nach erkaltet, dieſer Funke der Gottheit in mir zur Aſche ausbrennt und die Welt mich vielleicht verſtaͤndiger nennt, — was wird mir die innige Liebe erſetzen, mit der ich die Welt umfangen moͤchte? — Die Vernunft wird die Schoͤnheiten anatomiren, deren holder Einklang mich itzt berauſcht: ich werde die Welt und die Menſchen mehr kennen, aber ich werde

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 23[21]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/31>, abgerufen am 18.04.2024.