Mann von gesetzten Jahren und kaltblütigem Temperamente; er hatte nie viel gelesen oder viel gedacht, sondern hatte vierzig Jahre so ver- lebt, wie sie die meisten Menschen verleben; die wenigen Bücher die er kannte, hatten seinen Verstand gerade so weit ausgebildet, daß er eine große Abneigung gegen jede Art des Aber- glaubens hatte; er sprach oft mit Hitze gegen die Gespensterfurcht und andre ähnliche Schwach- heiten des Menschen. Diese Aufklärungssucht ward nach und nach sein herrschender Fehler, und seine Kameraden, die ihn von dieser Seite kannten, neckten ihn oft mit einem verstellten Wunderglauben, und so entstanden oft hitzige und hartnäckige Streitigkeiten; in diesen zeichnete sich gewöhnlich der Herr von F * * * durch sei- nen Widerspruch am meisten aus; er war ein Freund von Wildberg, (so hieß der andre Offizier) aber er suchte ihm auf diese Art sei- nen lächerlichen Fehler am auffallendsten zu ma- chen. Ein Fall der oft bei Dispüten eintritt, die gewöhnlich mit einem Gelächter endigen, er- eignete sich auch hier. F * * * sagte einst nach vielen Debatten, und wenn seinem Freunde auch kein andrer Geist erschiene, so wünsche er selbst
Mann von geſetzten Jahren und kaltbluͤtigem Temperamente; er hatte nie viel geleſen oder viel gedacht, ſondern hatte vierzig Jahre ſo ver- lebt, wie ſie die meiſten Menſchen verleben; die wenigen Buͤcher die er kannte, hatten ſeinen Verſtand gerade ſo weit ausgebildet, daß er eine große Abneigung gegen jede Art des Aber- glaubens hatte; er ſprach oft mit Hitze gegen die Geſpenſterfurcht und andre aͤhnliche Schwach- heiten des Menſchen. Dieſe Aufklaͤrungsſucht ward nach und nach ſein herrſchender Fehler, und ſeine Kameraden, die ihn von dieſer Seite kannten, neckten ihn oft mit einem verſtellten Wunderglauben, und ſo entſtanden oft hitzige und hartnaͤckige Streitigkeiten; in dieſen zeichnete ſich gewoͤhnlich der Herr von F * * * durch ſei- nen Widerſpruch am meiſten aus; er war ein Freund von Wildberg, (ſo hieß der andre Offizier) aber er ſuchte ihm auf dieſe Art ſei- nen laͤcherlichen Fehler am auffallendſten zu ma- chen. Ein Fall der oft bei Dispuͤten eintritt, die gewoͤhnlich mit einem Gelaͤchter endigen, er- eignete ſich auch hier. F * * * ſagte einſt nach vielen Debatten, und wenn ſeinem Freunde auch kein andrer Geiſt erſchiene, ſo wuͤnſche er ſelbſt
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[269[267]/0277]
Mann von geſetzten Jahren und kaltbluͤtigem
Temperamente; er hatte nie viel geleſen oder
viel gedacht, ſondern hatte vierzig Jahre ſo ver-
lebt, wie ſie die meiſten Menſchen verleben; die
wenigen Buͤcher die er kannte, hatten ſeinen
Verſtand gerade ſo weit ausgebildet, daß er
eine große Abneigung gegen jede Art des Aber-
glaubens hatte; er ſprach oft mit Hitze gegen
die Geſpenſterfurcht und andre aͤhnliche Schwach-
heiten des Menſchen. Dieſe Aufklaͤrungsſucht
ward nach und nach ſein herrſchender Fehler,
und ſeine Kameraden, die ihn von dieſer Seite
kannten, neckten ihn oft mit einem verſtellten
Wunderglauben, und ſo entſtanden oft hitzige und
hartnaͤckige Streitigkeiten; in dieſen zeichnete
ſich gewoͤhnlich der Herr von F * * * durch ſei-
nen Widerſpruch am meiſten aus; er war ein
Freund von Wildberg, (ſo hieß der andre
Offizier) aber er ſuchte ihm auf dieſe Art ſei-
nen laͤcherlichen Fehler am auffallendſten zu ma-
chen. Ein Fall der oft bei Dispuͤten eintritt,
die gewoͤhnlich mit einem Gelaͤchter endigen, er-
eignete ſich auch hier. F * * * ſagte einſt nach
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 269[267]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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