stens den Betrug für wahr anerkennen, der uns glücklich macht.
Balder. Deine Täuschung macht mich nicht glücklich, die Farben sind für mich ver- bleicht, das verhüllende Gewand von der Natur abgefallen, ich sehe das weiße Gerippe in seiner fürchterlichen Nacktheit. -- Was nennst du Freude, was nennst du Genuß? -- Sieh umher, was dich entzückt ist ein gemodelter Staub, -- könnten wir durch die Formen mit unserm Au- ge blicken und erspähen, wie jener Wald aus tausend widrigen Stoffen nach und nach zusam- mengesetzt ward, der dich izt entzückt, -- könn- ten wir der Natur ihre Verkleidung wieder ab- reißen, -- o wir würden vielleicht weinen, statt uns zu freuen.
Und warum weinen? -- Laß uns zwischen Räthsel und Unbegreiflichkeiten einhergehn, ich will die frohe Empfindung meines Daseyns ge- nießen, dann wieder verschwinden, wie ich ent- stand, -- genug, im Leben liegt meine Freude. -- Deine Gedanken können dich zum Wahnsinn führen.
Balder. Vielleicht.
ſtens den Betrug fuͤr wahr anerkennen, der uns gluͤcklich macht.
Balder. Deine Taͤuſchung macht mich nicht gluͤcklich, die Farben ſind fuͤr mich ver- bleicht, das verhuͤllende Gewand von der Natur abgefallen, ich ſehe das weiße Gerippe in ſeiner fuͤrchterlichen Nacktheit. — Was nennſt du Freude, was nennſt du Genuß? — Sieh umher, was dich entzuͤckt iſt ein gemodelter Staub, — koͤnnten wir durch die Formen mit unſerm Au- ge blicken und erſpaͤhen, wie jener Wald aus tauſend widrigen Stoffen nach und nach zuſam- mengeſetzt ward, der dich izt entzuͤckt, — koͤnn- ten wir der Natur ihre Verkleidung wieder ab- reißen, — o wir wuͤrden vielleicht weinen, ſtatt uns zu freuen.
Und warum weinen? — Laß uns zwiſchen Raͤthſel und Unbegreiflichkeiten einhergehn, ich will die frohe Empfindung meines Daſeyns ge- nießen, dann wieder verſchwinden, wie ich ent- ſtand, — genug, im Leben liegt meine Freude. — Deine Gedanken koͤnnen dich zum Wahnſinn fuͤhren.
Balder. Vielleicht.
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[266[264]/0274]
ſtens den Betrug fuͤr wahr anerkennen, der uns
gluͤcklich macht.
Balder. Deine Taͤuſchung macht mich
nicht gluͤcklich, die Farben ſind fuͤr mich ver-
bleicht, das verhuͤllende Gewand von der Natur
abgefallen, ich ſehe das weiße Gerippe in ſeiner
fuͤrchterlichen Nacktheit. — Was nennſt du
Freude, was nennſt du Genuß? — Sieh umher,
was dich entzuͤckt iſt ein gemodelter Staub, —
koͤnnten wir durch die Formen mit unſerm Au-
ge blicken und erſpaͤhen, wie jener Wald aus
tauſend widrigen Stoffen nach und nach zuſam-
mengeſetzt ward, der dich izt entzuͤckt, — koͤnn-
ten wir der Natur ihre Verkleidung wieder ab-
reißen, — o wir wuͤrden vielleicht weinen, ſtatt
uns zu freuen.
Und warum weinen? — Laß uns zwiſchen
Raͤthſel und Unbegreiflichkeiten einhergehn, ich
will die frohe Empfindung meines Daſeyns ge-
nießen, dann wieder verſchwinden, wie ich ent-
ſtand, — genug, im Leben liegt meine Freude. —
Deine Gedanken koͤnnen dich zum Wahnſinn
fuͤhren.
Balder. Vielleicht.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 266[264]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/274>, abgerufen am 22.11.2024.
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